Für die Partei des Proletariats an der Uni - Selbstbefragung eines umerzogenen Intellektuellen
Du bist seit 1972 beim KSV, dem Studentenverband der KPD gewesen. 1975, im Zusammenhang der Übernahme der chinesischen Linie der Vaterlandsverteidigung, hast du diese Organisation verlassen. Wie schätzt du zurückblickend deine Mitgliedschaft im KSV ein?
Zuerst muß ich sagen, daß der KSV nicht die erste Organisation war, der ich angehörte. Meine Entscheidung, zum KSV zu gehen, und nicht zur SEW - das war für viele einmal die große Alternative, weil man sie als die Partei ansah, die die meisten Arbeiter organisieren konnte - halte ich auch heute noch nicht für falsch. Ich bedaure diese Entscheidung keineswegs, obwohl meine KSV-Mitgliedschaft mir heute, wenn ich mich um eine Anstellung bemühe, sicherlich hinderlich sein kann. Ich verleugne politisch meine ehemalige KSV-Mitgliedschaft nicht, ich stehe zu ihr als der Zeit, in der ich politisch ungeheuer viel gelernt habe.
Heißt das, daß du heute noch - trotz deines Austritts aus dem KSV - ähnliche Positionen wie im KSV vertrittst?
Keineswegs. Vielmehr ist der Lernprozeß, den ich eben angesprochen habe, ein Prozeß des kritischen Lernens. Einmal habe ich mir eine Reihe organisatorischer und technischer Fertigkeiten angeeignet, die sehr nützlich sind. Ich möchte diese Erfahrungen nicht missen und kann sie immer wieder nutzbringend in der Bürgerinitiative, in der ich jetzt in Norddeutschland arbeite, anwenden. Der andere' Aspekt ist die Überwindung der sektiererischen Positionen des KSV. Nur dadurch, daß ich erlebt habe, was Sektierertum in jeder Hinsicht bedeutet, kann ich mich heute für eine Politik gegen die Berufsverbote einsetzen. die frei von sektiererischen, dogmatischen Tendenzen ist und mit der unsere Bürgerinitiative erfolgreich arbeitet.
Allerdings hat meine Ablehnung der K-Gruppen auch zu keinem pauschalen anti-organisatorischen Vorbehalt geführt, der etwa jede Form von organisierter Interessenvertretung und deren politische Durchsetzung über Bord wirft. Das ist für mich ein Irrweg und macht es den Sekten gerade möglich, als einzige organisierte Kraft weiterhin ihr Unwesen zu treiben.
Mir fällt bei deiner Argumentation auf, daß du deine KSV-Mitgliedschaft nur als objektiv abgelaufenen Lernprozeß zum Besseren hin beschreibst, als Entwicklung in der du selbst gar nicht als Lernender auftrittst. Mir ist äußerst unklar, warum Du über drei Jahre bei dieser Organisation geblieben bist. Man kann nicht solange in einer Organisation sein, wenn man nicht auch ihre Ziele und Methoden anerkennt, d.h. gerade die Sektiererei, von der du sprichst.
Das ist richtig, ich war überzeugter KPD-Anhänger. Ich habe diese Politik mitgemacht, mitgetragen und als Person verteidigt.
Du warst also durch und durch Sektierer und die Sektiererei legt man doch nicht so einfach beiseite, wenn sie sich zu einem vollständigen, dichten Weltbild herausgebildet hat. Wenn man beinahe für sie lebt, ist es doch fast unmöglich, sich über die Schranken des eigenen Weltbildes hinwegzusetzen.
Das stimmt schon. Gelernt habe ich aus der Sektiererei erst recht spät, als sich meine einzelnen Vorbehalte verdichteten und mein Verhältnis zum KSV in eine Krise geriet. Der Auslöser war, daß die KPD im Frühjahr 1975 plötzlich die These aufstellte, die UdSSR sei der Hauptfeind, man müsse sich mit Teilen der eigenen Bourgeoisie gegen sie verbinden, die NATO müsse gestärkt werden usw. Das war nicht nur ein einfacher Linienschwenk, sondern das Eingeständnis einer schweren inneren Krise. Die KPD und mit ihr der KSV hatten vorher jahrelang versucht, mit einer radikal-aktionistischen Agitation Politik zu machen und ihre Basis zu verbreitern. Diese Politik war gescheitert. So blieb nur der Ausweg, über die außenpolitische Fixierung an China die innere Stabilität wieder zu gewinnen. Das erklärt auch, warum die Linie der Vaterlandsverteidigung so schnell und so hart im KSV durchgesetzt werden konnte. Alle diejenigen, die vorher schon Bedenken hatten, ob die KPD-Politik überhaupt sinnvoll ist, nahmen diese neue Politik zum Anlaß, die alten Fehler endlich zu diskutieren und nicht einfach durch eine neue Linie in Vergessenheit geraten zu lassen. So kritisierte ich einerseits die antimarxistische Supermächte-Theorie, andererseits formulierte ich meine Bedenken gegen die Sektiererei in dem Zusammenhang einmal zusammenhängend - mit der Konsequenz, endlich auszutreten.
Die Supermächte-Theorie war also nur der Anlaß? Das, was du als kritischen Lernprozeß bezeichnet hast, ist offensichtlich weitergehend. Kannst du dafür einige Beispiele nennen?
Sicherlich. Irgendwann fängt man an, sich Gedanken zu machen über seine totale gesellschaftliche Isolierung als Mitglied dieser Organisationen. Nicht nur physisch, sondern auch im Denken und Regieren stellt die Organisation einen Absolutheitsanspruch, der den parolenmäßig propagierten 'Zusammenschluß mit den Massen' völlig unmöglich macht. Ideologisch begründet wird diese Beschlagnahme der ganzen Person in der Forderung nach Umerziehung. Umerziehung bedeutet für den KSV, daß der Student, der Kleinbürger und Intellektuelle, sich nach dem Vorbild der Arbeiterklasse umzuformen hatte, genauso wie die revolutionäre Arbeiterklasse denken und handeln sollte. Das Problem liegt aber darin, daß diese revolutionäre Arbeiterklasse nur ein abstrakt konstruierter Begriff ist, daß es sie politisch greifbar und erkennbar gar nicht gibt. Deshalb bedeutet die Umerziehung für die Mitglieder des KSV, sich dem konstruierten Willen der Arbeiterklasse unterzuordnen, der sich angeblich in der Partei verkörpert.
Bei Mitgliedern des KSV ist es besonders einfach, die Identität von Arbeiterklasse und KPD vorzuspielen, weil die Studenten über die Partei relativ wenig wissen und ihnen kaum Einblick in die Arbeitsweise der KPD gewährt wird. Die KPD tritt dem KSV immer nur als konspirativer Geheimbund gegenüber. Abgesehen davon, daß sich in dieser Partei fast nur Intellektuelle befinden, wird so jede Kritik mit dem Argument abgeblockt, der Kritisierende müsse sich erst noch umerziehen, Selbstkritik üben, den Standpunkt der Arbeiterklasse einnehmen, bevor er überhaupt Kritik äußern darf. Mit dem Hinweis auf die Umerziehung wird jede theoretische Auseinandersetzung und praktische Kritik unterdrückt. Nur diejenigen, die sich flexibel der jeweils zentral ausgegebenen Linie anpassen, steigen in die Leitungsebenen auf.
Ich selbst habe lange Zeit die Bedeutung dieses Konzepts für das ausgeprägte Sektierertum unterschätzt. Mein Unbehagen begann vielmehr dort, wo ich sah, daß wir bei den Arbeitern nicht "ankamen". Ich habe oft vor einem Betrieb Flugblätter verteilt und Zeitungen verkauft. Die Flugblätter wurden von höchstens einem Viertel der Belegschaft genommen. Ob sie auch gelesen wurden, ist fraglich. Beim Zeitungsverkauf war es ebenso katastrophal. Da blieb nur die Flucht in die absurde These, das wichtigste sei, daß die politische Linie der Partei stimmt; die Massen kämen später schon dahinter.
Aber kein politisch klar denkender Mensch kann davon lange überzeugt sein, die Widersprüchlichkeit dieser Konzeption springt doch ins Auge.
Nein. Der Gegensatz von Anspruch und Wirklichkeit - Partei der Arbeiterklasse sein zu wollen, faktisch aber von der Arbeiterklasse ignoriert zu werden - führt dazu, daß man ungeheuer stark nach innen, innerhalb der Organisation denkt und lebt und in ihr den Ersatz für die fehlende Außenwirkung sucht. Die Welt, in der man lebt, schrumpft auf innerorganisatorische Termine und das vorgegebene politische Weltbild. Die sogenannte Massenarbeit, Verkaufen, Flugblätter verteilen und Studenten agitieren, korrigiert das innerorganisatorische Weltbild überhaupt nicht, weil man vor anderen immer nur als Aufklärer, als Standpunktprediger auftritt, der den Massen erst das richtige Bewußtsein beibringen muß. Ich habe oft genug in Seminaren gesessen und bin dort mit großen Reden als Agitator aufgetreten. Aber kein Student wurde von den ,abstrakten politischen Stellungnahmen überzeugt. Ich konnte zwar meistens ausreden, aber einen Einfluß auf den politischen Willensbildungsprozeß der Studenten hatte das kaum. Die Studenten haben deutlich gespürt, daß nicht einer von ihnen zu ihnen spricht, sondern daß sie in oberlehrerhafter Weise belehrt werden sollen.
Dabei spiegelt der oberlehrerhafte Ton, mit dem KSV, KPD und andere K-Gruppen, übrigens auch die DKP und SEW, auftreten, nur die innere Diskussionsweise wider. Von oben her werden alle Entscheidungen gefällt und durchgesetzt, die Mitglieder dürfen nur noch beraten, wie sie diese Entscheidungen am besten umsetzen. Ich möchte diese beinahe totalitär zu nennende Methoden am Beispiel der Frage erläutern, wie der KSV die Kritik an der bürgerlichen Wissenschaft Mitte 1974 verwarf. Nachdem man jahrelang in den Seminaren versucht hatte, auch zu fachlichen Themen einen sozialistischen Standpunkt zu vertreten - so beschränkt und verkürzt er auch immer gewesen sein mag - hieß es plötzlich: durch die Kritik der bürgerlichen Wissenschaft könne kein Student zum Kommunisten umerzogen werden, man solle deshalb nur noch reine Agitation für die Parteikampagnen treiben. Die Begründung las sich so: "Die Wissenschaft gehört dem Volk. Die Wissenschaft, das ist der Marxismus-Leninismus und seine Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus, die Wissenschaft der Arbeiterklasse. Die Studenten sind somit - als künftige Wissenschaftler betrachtet - Träger der bürgerlichen Wissenschaft, Träger der einzigen Wissenschaft ist die Arbeiterklasse und ihre Partei." Damit waren alle Studenten einschließlich der KSV-Mitglieder als Träger bürgerlicher Wissenschaft abgestempelt und die Beschäftigung mit dem Studium diskreditiert. Allen Genossen wurde so praktisch ein Studienverbot auferlegt. Nur noch die direkte Parteiarbeit, das ständige Herumwirbeln mit Flugblättern und innerorganisatorische Termine, konnten den ideologischen Anforderungen im KSV standhalten. Denjenigen, die die Notwendigkeit eines einigermaßen ordentlichen Studiums und Examens betonten oder praktisch angingen, wurde bürgerlicher Karrierismus vorgeworfen.
Begründet wird dies damit, daß die Revolution nun einmal Kommunisten erfordere und nicht eine irgendwie fortschrittliche Studentenbewegung. Aber hinter dieser Begründung steckt mehr: Diejenigen Genossen, die aus der Studentenbewegung zum KSV kamen, hatten fast alle einen breiten Fundus an Wissen und Erfahrungen, wie man sein Studium bewältigen kann. Später kamen neue Generationen von Studenten in den KSV, die die Studentenbewegung nicht mehr kennengelernt hatten, deren politische Sozialisation sich im Umkreis des KSV selbst vollzog. Für sie gab es nur noch das KSV-Weltbild. Sie gingen vollkommen in der Organisationshuberei auf. Diesen Studenten war es sehr recht, daß die Wissenschaftskritik aus der Aufgabenstellung des KSV gestrichen wurde. Sie fanden sich im normalen Unibetrieb, mit den Denk- und Lernweisen der Studenten und in einer sorgfältigen Auseinandersetzung um die Wissenschaft sowieso nicht zurecht.
Wenn du jetzt alles auf solche "objektiven" Tendenzen schieben willst, stellt sich für mich die Frage, wieso du nicht frühzeitig gegen diese Tendenzen vorgegangen bist und wieso du selbst ein Sektierer gewesen bist. Denn du hast die Endphase der Studentenbewegung ja persönlich mitgemacht.
Ich war lange Zeit von der Richtigkeit der KPD-Linie überzeugt, ich war aber nie vollkommen in dem KPD-Weltbild verfangen. Ich glaube, daß. ich immer ein bißchen über die Grenzen dieses Weltbildes hinausgeschaut habe. Ich konnte auf früheres Wissen zurückgreifen und ich habe zudem neben meiner politischen Aktivität relativ viel privat gelesen. Das ging, weil ich mir bestimmte Anspruche und Eingriffe der Organisation vom Hals gehalten habe. Und ich habe relativ viel mit Freunden innerhalb der Organisation, vor allem in meiner Wohngemeinschaft, diskutiert. Dadurch war ich auch viel genauer über die politischen "Erfolge" der Partei informiert als ein normaler Leser der "Roten Fahne".
Heißt das, daß das durchschnittliche Mitglied des KSV über die eigene Organisation schlecht informiert ist?
Ja. Wer nicht auf einer höheren Leitungsebene saß, bekam aus der eigenen Organisation nur sehr gefilterte Informationen, Niederlagen wurden vertuscht und allgemein wurde ein ständiges Vordringen der Partei für selbstverständlich gehalten. Obwohl z.B. jeder von sich wußte, wie wenig Exemplare der Roten Fahne oder anderer Zeitungen er verkaufte, glaubte jeder an ihren ungeheuren Einfluß auf die Arbeiterklasse und die fortschrittliche Bewegung in unserem Land. Die Broschüren der KPD werden immer an dieselben Leute verkauft, die in der Organisation oder in ihrem Umkreis arbeiten. Dennoch war jedes Mitglied stolz auf die ständige Broschürenproduktion und bildete sich ein, mit diesen Heften wirklich breite Teile der Bevölkerung zu erreichen. Diese Realitätsferne ist das Produkt der selbstgeschaffenen Welt, die den KSV und jedes einzelne Mitglied bewegen, seien überhaupt die weltbewegenden Fragen.
Deshalb können die K-Gruppen die wirklichen Interessen z.B. der Studenten und auch anderer Bevölkerungsteile, in deren Namen sie auftreten, gar nicht ausdrücken, das ist von ihrem ideologischen System her unmöglich. Wer in einer so geschlossenen Welt lebt, der verliert über kurz oder lang dazu jede Möglichkeit. Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran wie in den Grundeinheiten des KSV die Diskussion geführt wurde und wird. Jede Woche flattert dem Zellenverantwortlichen das Rundschreiben der jeweils höheren Ebene auf den Tisch. Solche Rundschreiben haben Direktivencharakter, sie sind also Befehle. Sie können in der Diskussion faktisch nicht in Frage gestellt werden, weil das sofort als Angriff auf die Politik des Verbandes und damit der Partei gewertet wird. Die Direktiven sind meist sehr konkret, sie beschreiben genau die Aufgabe der Grundeinheit für einen bestimmten Zeitabschnitt, sie ordnen an zu welchen Themen und mit welchen Argumenten die Mitglieder in der Öffentlichkeit aufzutreten haben. Dagegen ist kein Widerspruch möglich. Die Zelle spricht nur darüber, wie diese Direktive am Besten zu verwirklichen ist. So gehen äußerer Zwang und innere Selbstbeschränkung zusammen und führen zu einer Perversion einer offenen Diskussion. Der repressive Diskussionsprozess kehrt in einem gedanklichen Zirkel immer wieder zu seinen eigenen Voraussetzungen zurück, zu den Direktiven, und nimmt nach außen die Form des abstrakten Propagandistentums an. Die einzelnen Mitglieder stehen in dieser Zirkellogik und können nicht mehr über deren Grenzen hinausschauen.
Wie ist es dir denn gelungen, das Gefangensein in der Ideologie und Organisation des KSV zu durchbrechen?
Auf allgemein-theoretischer Ebene ist mir dies anfangs kaum möglich gewesen. Dazu habe ich trotz aller politischen Mißerfolge der KPD, trotz Cliquenwirtschaft und sinnloser Organisationshuberei viel zu sehr an den Marxismus-Leninismus als richtige Theorie geglaubt.
Man darf nicht vergessen, daß ich selbst für lange Zeit aktiver Träger des repressiven Diskussionsprozesses nach innen und nach außen gewesen bin. Auch ich war einer derjenigen, die andere Genossen mit moralischen Argumenten an die Wand gedrückt haben und nach außen die Politik vehement vertreten haben. Erst langsam und vorsichtig keimten in mir Zweifel, die sich aber nicht an der Gesamtpolitik festmachten, sondern an einzelnen, kleinen taktischen Fragen, wie z.B. der, ob es richtig ist, jede Woche relativ beliebig die Solidaritätskampagnen mit Griechenland, Spanien, Angola und Vietnam miteinander auszuwechseln.
Als ich solche Punkte vorsichtig in den Zellendiskussionen thematisierte, stieß ich sofort auf den frontalen Widerspruch anderer KSV-Mitglieder. Sie waren nicht bereit solche Fragen auch, nur zu diskutieren, und machten mir den Vorwurf, versteckt die Linie der Partei angreifen zu wollen. In solchen Situationen kann man dann zurückstecken - und das tat ich oft genug - oder die Auseinandersetzung auf der Ebene aufnehmen, die einem aufgezwungen wird, was heißt, die "unanfechtbare Linie der Partei" in Frage stellen. Wer sich davor scheut und ich tat dies lange Zeit, der wird relativ hilflos in der Organisation herumtaktieren und daran mitwirken, daß andere Genossen in Auseinandersetzungen fertig gemacht und entmündigt werden.
Auch ich habe lange Zeit den Fehler gemacht, auf der Sympathisantenrunde meiner Zelle entweder vornehm zu schweigen oder die offizielle Linie entgegen meinen eigenen Vorbehalten zu verteidigen. Das wurde dann dazu benutzt, mir Doppelzüngigkeit vorzuwerfen - was mir sehr erschwert hat, den Sympathisanten meinen Austritt zu verdeutlichen. Der repressive Diskussionsprozess hat durch eigenes Verschulden, in meinem Schweigen, noch einen letzten Sieg über mich davongetragen. Es ist mir nicht gelungen, meinen Austritt so zu begründen, daß weitere Genossen von meinen Argumenten überzeugt wurden.
Was hat sich durch deinen Austritt aus dem KSV in deinem persönlichen Leben verändert?
Viel, sehr viel. Glücklicherweise wohnte ich damals nicht mehr mit anderen KSV-Leuten zusammen. Das hat mir alles sehr erleichtert. Ich weiß von anderen, daß der politische Bruch auch erhebliche Konsequenzen in den gemeinsamen Wohnungen hatte. Ausgetretenen wurde gekündigt, Papiere und Unterlagen wurden ihnen gestohlen, man versuchte sie durch Denunziationen zu erpressen, unsaubere Finanzmethoden waren an der Tagesordnung. So wurden z.B. Kredite an die Organisation nicht zurückgezahlt. Einige Mitglieder, die ich bis dahin zu meinen festen Freunden rechnen konnte, brachen mit mir; die fadenscheinigsten Vorwände mußten dazu herhalten. Zurückblickend bedauere ich das nicht, denn Freundschaft mit solchen Gestalten stellte sich so als eine Art übler Kumpanei heraus.
Nach allem, was du über die innere Verfassung des KSV berichtet hast, fällt es mir schwer, deine anfängliche Einschätzung zu verstehen, daß du deine ehemalige KSV-Mitgliedschaft auch heute noch nicht für falsch hältst.
Man muß den Akzent anders setzen. Ich bedauere die Entscheidung für den KSV nicht unter der Alternative KPD oder SEW. Insgesamt war meine KSV-Zeit jedoch ein großer Umweg, ein Weg, der bei vielen anderen Genossen in der Resignation oder im abstrakten Ethos des Berufsrevolutionärs endete. Ich habe in den letzten Jahren gesehen, wie viele Leute zerbrochen sind, zu intellektuellen Kümmerlingen geworden sind. Besonders betroffen machen mich dabei diejenigen, die die KPD oder vergleichbare Gruppierungen immer noch für "die Kommunisten" halten, von sich selbst jedoch sagen, daß sie die nötige Kampfkraft und das Durchhaltevermögen nicht aufbringen. Diese Leute haben noch heute den Kopf voll mit dem ML-Schrott.
Ich persönliche glaube, daß meine KSV-Zeit zwar ein Umweg war, aber ein Weg, den ich heute nicht wegzaubern und nicht fortleugnen kann. Jeder Versuch, dies zu tun, würde mit Verdrängungsmechanismen gepflastert sein, die meine Identität in Frage stellen. Ich kann gar nicht anders handeln, als ich es jetzt tue. Denn wer beraubt sich selbst gerne einiger Jahre seines Lebens?
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 74, Rotbuch Verlag Berlin 1977