Virtuelle Gemeinschaften

Virtuelle Gemeinschaften
Die gibt es nicht erst seit dem Internet, in vielen Bereichen lassen sie sich feststellen, nur der Name ist neu.
Gemeint sind damit Gemeinschaften, die irgendwas verbindet, ohne daß sie sich kennen oder direkt miteinander was zu tun hätten. Die Leser einer Zeitung können solch eine Gemeinschaft bilden und diese in der Leserbriefseite ausdrücken. Sie verbindet nur das Medium, selbst können sie verstreut leben und keinen persönlichen Bezug zueinander haben, sich dafür aber intensiv an den Inhalten des Mediums abarbeiten und so eine Pseudo- gemeinschaft bilden.
Im Chat kann das genauso laufen, nur der Chat oder auch das Forum verbindet sie und schafft eine Pseudogemeinschaft. Daß es oft nicht mehr als das ist, zeigt sich dann, wenn das Medium abgeschaltet wird. Dann verschwindet diese virtuelle Gemeinschaft und die nun heimatlosen Benutzer müssen sich ein neues Medium suchen.
In der Politik läuft das oft genauso. Wer sich einer Bewegung oder Szene zugehörig fühlt, ist oft genug Mitglied eines Phantoms. Als 80 haufenweise Häuser besetzt wurden, sprach man von einer Hausbesetzerbewegung. Die Frage ist aber, wohnt man selbst in so einen, dann hat man sich erstmal mit den eigenen Problemen zu befassen, die sowas mit sich bringt. Falls nicht, dann kann man sich zwar beteiligen, wenn an Demos was läuft aber weiter hat man nicht viel damit zu tun. Auch die Zusammenfassung in den Medien ändert nichts daran, daß dieser Pseudozusammenhang Besetzerbewegung, weder Anschrift noch Nr. hat und auch keine Mitgliederausweise verteilt. Mit der AKW oder Friedensbewegung läuft das ebenso. Der Aufkleber aufs Auto demonstriert die Zugehörigkeit, mehr aber auch nicht. Da sich die Beteiligten allenfalls zu gemeinsamen Aktionen zusammenfinden und danach wieder auseinanderlaufen, haben sie von der gemeinsamen Willensbekundung abgesehen, wenig gemeinsam.
Daß diese Virtuellen Zusammenhänge doch zu was gut sind, zeigt sich dann, wenn es darum geht, die Leut auf die Gass zu bekommen. Dann können solche Bewegungen was bewirken und auch zeitweilig zu gemeinsamen Aktionen finden, bei denen sich die Einzelnen nicht kennen müssen. Virtuelle Gemeinschaften erzeugen auch Pseudorealitäten, ein Extremfall ist die Szene die aus der 80iger Bewegung entstanden ist und sich in dieser überzeichneten Form in Berlin in s 21ste Jahrhundert rübergerettet hat. Was sie verbindet ist die Interim, einige Webseiten in denen die Ideologischen Vorgaben und die Verhaltensregeln verkündet werden. Eine Pseudogemeinschaft ohne feste Adresse. Auch wenn es einige geben sollte, die im Impressum stehen oder auf den Mehringhof verweisen, das hat nichts zu bedeuten. Die Zugehörigen weisen sich nicht durch Mitgliederausweise aus, bestenfalls durch gemeinsame Zeichen, Kleidung, Sprachgebrauch beim Text oder verrottetes Outfit. Gemeinsam haben sie auch, sich an Insiderthemen abzuarbeiten, die außerhalb dieses Zusammenhangs oft nicht mal verstanden werden. Das lässt sich am Sexismusgeschrei oder am Bilderkampf gut beobachten. Die eigene Presse bleibt sauber und selbst in der TAZ führten Bilder die man heut an jeder Plakatwand nachgeschmissen bekommt zu wütenden Drohungen mit Abokündigungen.
War diese Szene mal mehr als ein virtueller Zusammenhang, weil es tatsächlich gemeinsame Aktionen gab, so hat sich das etwas verändert. Die Beteiligten wurden älter, die Demos kleiner oder verschwanden ganz und was verband den Steinewerfer von 81 nach 15 oder 20 Jahren mit den Pseudo- autonomen Kindern? Die damals entstandenen Printmedien verschwanden mangels Nachfrage und damit der letzte Zusammenhang, bzw. sie wurden nicht mehr gelesen und die Exbeteiligten hörten auf sich mit diesen Insiderkram überhaupt zu befassen. Da konnten einige Übriggebliebene oder Newcomer in ihren Klopapier weiter ihr Geschrei gegen Sexismus und Patriarchat anstimmen, man hörte einfach weg.                 Heute im Internet, wo jede Seite groß aussieht, feiert dieser Irrsinn Wiederauferstehung. Das Medium macht es möglich, jeden Unsinn ohne den Aufwand der Printwelt zu veröffentlichen. Aber auch hier kann man weghören, zumal es in der Masse der Netzseiten untergeht. Um diese Seiten zu lesen, muß man vorher die Absicht haben um sie zu finden.
Nun könnt s wieder losgehen, man könnte sich wieder einer solchen Gemeinschaft zugehörig fühlen und dies im Forum (wenn vorhanden) zum Ausdruck bringen, sich von Leuten die man nie gesehen hat und auch nicht persönlich kennen will, vorschreiben lassen, was man zu denken hat, welche Zeitungen man lesen darf, das man Mensch statt man schreibt und sich keine sexistischen Bilder anschauen darf. Könnte, wenn man s mittlerweile nicht etwas besser wüßte. Die alten Fehler muß man nicht nochmal machen, einmal reicht. Man muß das alles nicht mehr so bierernst nehmen und sich sicher nichts von einer virtuellen Gemeinschaft vorschreiben lassen, deren Einzelproduzenten von Bleiwüsten auch nichts weiter vertreten als ihre Einzelmeinung oder ihre verdrehte Weltsicht.
In solchen Pseudowelten bilden sich auch Pseudoautoritäten, das können die Schreiber in entsprechenden Blättern sein, deren Unsinn als allgemeingültige Regel anerkannt wird, auch wenn sie oft nur mit zwei Buchstaben unterzeichnet haben und keine reale Macht haben, ihre Forderungen jemanden aufzuzwingen. Versucht wird es über interne Ausschlußdrohungen, ob man dann noch dazugehören darf. Gibt es aber nichts mehr, wo man dazugehören konnte, dann wird diese Drohung nur noch lachhaft. Auch nach dem Verschwinden eines solchen Zusammenhangs, leben die darin entstandenen Regeln und Zugehörigkeitszeichen oft als Dogmen weiter und werden von Neudazugekommenen unhinterfragt übernommen. Oft sogar als sinnlose "Tradition" weil der Hintergrund in dem sie möglicherweise mal einen Sinn hatten, längst nicht mehr besteht. Konkret lässt sich das etwa im Internet auf linken Seiten festmachen, wenn bei Demobildern immer noch verlangt wird, die Gesichter unkenntlich zu machen, selbst wenn es eine völlig harmlose Aktion war. Was zu Straßenschlachtzeiten mal Sinn machte bzw., auch in der Verfassungsschutzparanoia seinen Hintergrund hatte, hat sich hier zum unhinterfragten Dogma verselbstständigt.
Im Moment lässt sich das bei den Montagsdemos gut beobachten. In Frankfurt etwa sind es bisher zwar nicht viele, dafür ist alles vertreten was in der Restpolitszene Rang und Namen hat. Die Webseit der FAU ist erstmal nur eine Webseite, hier kannst die paar Leut live sehen. Für n Transpi reicht s immerhin. Auch die Seite eines Trotzkistenvereins mag noch so beeindruckend aussehen. Schau dir die paar Zeitungsverticker an. Das sieht schon um einiges ernüchternder aus. Gerade hier lässt dich gut der Unterschied zwischen Fiktion und Realität rausfinden.
Bei Graffiti lässt sich das ebenfalls gut festmachen auch wenn hier unterschieden werden muß. Nur weil viele das gleiche Hobby haben, müssen sie noch nichts miteinander zu tun haben. Im Bereich Politparole gab es nie einen Zusammenhang über die Dose. Den Zusammenhang bildete die politische Ausrichtung und was grade an Bewegungen akut war. Im Bereich Schablonengraffiti gab es nie einen Zusammenhang, die Beteiligten kannten sich nicht und wollten es auch nicht.
Mehr als die gemeinsame Sprühtechnik verband sie nicht. Aktuell hat sich das mit der Berliner Street Art Aktion etwas geändert. Erst die Writer bildeten einen oft mehr als virtuellen Zusammenhang indem sie Kontakt aufnahmen, oft über weite Entfernung und so eine Insiderwelt bildeten. Trotzdem verbindet den Writer aus München mit seinen Berliner "Kollegen" oft nicht mehr als das Sprühen, nicht alle kann man kennen. Auch hier bilden sich Insiderregeln und Ingroup Verhaltensweisen die außerhalb dieser Welt kaum verstanden werden. Muß man auch nicht so bierernst nehmen, es gibt auch hier niemand der die Einhaltung überwachen könnte.
Saul 2009