Donnerstag, 21. Juni 2012

Living in the past

Gelegentlich wurde mir die Frage gestellt, ob ich in der Vergangenheit lebe. Unter anderem im Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung von alten Fotos im www. Fastvergessene Demos und Aktionen an die sich keiner mehr so recht erinnert? Offenbar doch. Wenn es ein Problem sein sollte, das man sich an seine aktive Zeit erinnert, dann scheint dies ein allgemeines Problem zu sein. Mit zunehmenden Alter wird die eigene Jugend verklärt und das was man da so getrieben hat. Dann wird oft in der Rückschau vieles idealisiert und man läuft Gefahr rumzunerven, wie toll das doch war. Denkste, jeder weiß es doch besser. Im Netz wird das deutlich, da scheint sich was zu wiederholen.

Wer nicht allzu jung ist, der erinnert sich noch an die regelmäßig nervigen Rückschauen der 68ziger, wie toll das damals war und man bekam den Eindruck, was verpasst zu haben. Dieses nervige Gejammer der Veteranen, damals 68...... und heut läuft ja nichts mehr.

In den 70igern lief einiges und viele waren dran beteiligt. 80/81 fegte eine Scherbenbewegung durch Mitteleuropa bei der es mindestens wie 68 abging, oder noch besser. Auch daran waren viele beteiligt und da dies mittlerweile lang her ist, sind wir wohl nun die Veteranen. Nerven wir die Jungen heut auch damit, wie toll das alles war? Wenn ja, dann sollt man besser weghören. Opa erzählt wieder vom Krieg, so hört sich das dann für Außenstehende an.

Es geht hier natürlich nicht nur um ein paar längst vergessene Scherbendemos, es geht um das was man seinerzeit im Kopp hatte. Vieles davon hat sich von selbst erledigt, selbst die Begriffe aus der Zeit werden kaum noch verstanden. Den Begriff Counterschwein hab ich schon lang nicht mehr gehört und wer weiß noch was eine WG ist? Wer kennt noch die ganze Sammlung marxistischer Terminologie die in den 70igern zur allgemeinen Grundausstattung gehörte, ohne der man nicht ernst genommen wurde. Wer seinerzeit auf der Höhe der Zeit sein wollte, kannte die Namen und Buchstabenabkürzungen aller gängigen Befreiungsbewegungen. MPLA, ist das n neues Audiodatenprogramm? So ändern sich die Zeiten und die Begriffe ebenfalls.

Es schien vorbei zu sein, alles im Altpapier entsorgt und vergessen. Im Alltag kein Thema. Wer in einen anderen Leben mal die Parteizeitung vertickt hatte, der redete nicht drüber, war ne ferne Vergangenheit. Wer sich mal an der Startbahn ausgetobt hatte, für den hatte das im heutigen Alltag keine Bedeutung. Und wem früher kein Konflikt zu weit für ne Demo war, fragte sich, ob die Welt nicht alt genug ist, um auch mal ohne seinen Einsatz auszukommen. Nicht das sich später nichts mehr tat, nur man litt nicht mehr unter der Zwangsvorstellung, man müßte unbedingt mitspielen. Mit dem Zerfall dieser Welten verschwand auch deren Insidermaßstab, deren Werte galten eben nur da und nicht draußen. Wo bist alles rumgetrampt? Hast WG Erfahrung? Bei welchen Sachen warst dabei gewesen, in welcher Gruppe, Zusammenhang machst rum? Das zählte in der Arbeitswelt nicht und wer sich nach Arbeit umsah, sah sich nur noch mit den Fragen konfrontiert, was hast gelernt? Welche Zeugnisse hast? Wer bei Ämtern landete stellte schnell fest, da interessiert niemanden bei welchen Demos du dabei warst und wer die paar Kröten wollte, der konnte da nicht mit Szenegequatsche ankommen, beeindruckt da niemanden. Wer dann mit den paar Kröten überleben mußte, stellte schnell fest, man kann weder mit Flugblättern noch mit der richtigen politischen Gesinnung bezahlen. Es machte also wenig Sinn, einer Vergangenheit nachzutrauern wenn es vorbei ist. Es gibt eben kein richtiges Leben im Falschen, den Adornosatz kannte man, aber haben wir ihn auch verstanden?

Damit verschwand auch die Vielfalt der Kleinpresse aus der realen Welt. Man konnt das Zeug einfach nicht mehr sehen und hörte auf das Graupapier zu lesen. Stets das alte Gejammer, man konnt s nicht mehr hören. Es war ne Abstimmung mit den Füßen und so verschwanden die Zeitungen deren Namen auch kaum noch einer kennt.

Nun haben wir aber ein nettes Spielzeug bekommen, eben das Internet. Hier taucht auf einmal die Vergangenheit quicklebendig wieder auf und auf einmal stellt der unbeteiligte Beobachter fest, nicht wenige alte Säcke oder junge Mattbirnen scheinen in der Vergangenheit zu leben. Auf einmal tauchen längst vergessene Diskussionen und scheinbar abgehakte Auseinandersetzungen wieder auf und man meint, irgendwer hat die Zeitmaschine erfunden. Auf einigen Webseiten gibt es ein erfreutes Wiedersehen mit der fast vergessen Revolutionsgraphik und den Kopfbanner von Marx bis Mao. Ah, das erinnert mich an meine Jugend, so geht s dir spontan durch den Kopf. Man kann diesen übrig gebliebenen Spinnern heute mit angemessener Mißachtung den Mittelfinger zeigen. Da man dieser Ideologie längst die Gefolgschaft aufgekündigt hat, haben sie auch keine Macht mehr über deinen Kopf.

Was sich verändert hat, ist die eigene Einstellung. Wer jung ist will irgendwo dazugehören. Das hast nicht mehr nötig, so kann man entspannter drangehen und muß sich weder anpassen, noch für irgendwas umbringen.

Auch nach dem Zerfall vieler organisierter Zusammenhänge konnt man noch beobachten, wie die Beteiligten offenbar unter Rechtfertigungszwang standen und sich irgendwie als aktiv ausweisen mußten. Das kann man sogar heute noch im www lesen, wie sie sich mit irgendwelchen aktiven Zusammenhängen in denen sie vorgeblich werkeln legitimieren müssen. Solchen Zwangsvorstellungen kann man grad den Mittelfinger zeigen, jedenfalls, wenn du nicht mehr unter der Zwangsvorstellung leidest, unbedingt die Welt retten zu müssen oder wenigstens die Arbeiterklasse oder irgendeine Minderheit.

In eigener Sache kann ich sagen, Writing war für mich die praktische Form des Kirchenaustritts aus der linken Gemeinde. Ausgerechnet Graffiti? War das nicht integraler Bestandteil der Linken? Politparole und AnarchoA sicher, aber Writing hatte nichts mehr mit links zu tun. Der beste Beweis ist, das es von den Linken als Hieroglyphen ignoriert wurde und als es nicht mehr ignoriert werden konnte, gar nicht verstanden wurde. Ob Fotodoku oder eigene Beteiligung, ich stand nicht unter Rechtfertigungszwang, denn ich sah darin keinen Beitrag die Revo vorzubereiten, es war einfach der blanke Egoismus, ich konnt hinterher wenigstens sehen, was ich getrieben hatte. Und was ist egoistischer, als die Zeitung aufzuschlagen und auf einen Bild das eigene Zeichen zu sehen. Eine solche Motivation ist das genaue Gegenteil linker Ideologie.

97 bei der ersten Hanfparade wurd deutlich, das sich die Demoform etwas verändert hatte und ein Schreiber bemerkte, das sich viele dran beteiligten, die man schon lange auf keiner Demo mehr gesehen hatte. Hier wurde es deutlich, man kann mitlaufen, es sich ansehen ohne alles mitmachen zu müssen.

Ein anderer Punkt sind Demos von Pseudoautonomen wie ne Operndemo, die schon durch ihr Erscheinungsbild dem Veteran zeigt, hier gehörst nicht hin. Hier bist echt deplatziert und so wie man irgendwann in einen Juz nichts mehr verloren hat, hat man mit zunehmenden Alter auf bestimmten Demos nix mehr verloren. Was soll ich mit diesen Rotznasen, diese Frage stellt man sich dann. Da bist allenfalls Zaungast aber leidest nicht mehr unter der Zwangsvorstellung dazugehören zu wollen. Damit hast auch die Freiheit, dich an keinen Unsinn anpassen zu müssen. Lass sie rumspielen, müssen ja auch mal was zu erzählen haben, so in zehn Jahren. Hört sich recht zynisch an, ist es wohl auch.

Draußen ist es kaum möglich das weiterzugeben. Schau dir die Linksruckgestalten an. Soll ich den jungen Mattbirnen sagen, so wie du hab ich auch mal dagestanden und rumagitiert, da
gab s dich noch gar nicht. Würden sie was kapieren? Vermutlich nicht. Wie auch.

Was bleibt, schau dir die Welt an wie sie ist, man kann bei vielen mitmachen oder einfach nur Zaungast sein. Die Freiheit eben nicht dazugehören zu müssen und sich nicht auf Kompromisse und Anpassung einzulassen, die hast dir in langen Jahren erarbeitet.