Samstag, 30. Juni 2012

Klasse Körper Kopfarbeit





















Rezension

In diesem Buch geht es um linke Gemeinplätze. Veröffentlicht 1983 als Sammlung mehrerer Autoren die alle irgendwo innerhalb der linken Diskussion oder Zusammenhängen beteiligt waren, bezieht es sich auf die Zeit der 70er bis zum Anfang der 80er und stellt die seinerzeit gängigen Schlagworte vor, die seinerzeit die linken Debatten bestimmten. Vieles dieser Schlagworte ist mittlerweile in Vergessenheit geraten oder von der Zeit überholt.
Es sind unterschiedliche Autoren die keine einheitlichen Ansichten vertreten und die Texte bewegen sich von ernsthaft über lockeren Schreibstil bis zum Sarkasmus.
Oder so, Begriffe entstehen im Zusammenhang mit aktuellen Vorgängen, mit gesellschaftlichen Auseinander- setzungen und erhalten hier ihre Bedeutung. Sie können aber auch ein gespenstisches Eigenleben führen, wenn der alte Zusammenhang längst auseinander gebrochen ist und dann besteht oft die Gefahr, das sie zu Dogmen versteinern. Oft von der nächsten Generation benutzt, die die Entstehungsgeschichte nicht miterlebt haben und meinen, diese Begriffe, Sprachcodes als Zeichen ihrer Zugehörigkeit verwenden zu müssen. Dann kann man diesen Begriffen eher wünschen, das sie einfach vergessen werden.

Es geht auch um Modewörter, die eine Zeit lang in sind und irgendwann nicht mehr verstanden werden, oder auch völlig mißverstanden. Wie sich die politischen Themen eben so ändern. War in den 70ern die Terminologie von Reformismus, Revisionismus bis Diversanten allgemein geläufig, das man ohne diese Begriffe zu kennen und zu verwenden, nicht ernst genommen wurde und zudem die diversen Abkürzungen der diversen Befreiungsbewegungen auswendig zu kennen hatte, kamen mit der Alternativbewegung (siehe alternativ) wieder andere Begriffe auf, die etwas zu oft benutzt wurden, bis man sie nicht mehr hören konnte. Wer pflegt heute noch eine Beziehung? Wer hat eine Beziehungskiste, bzw. was soll das sein? Kann man sowas im Baumarkt kaufen? Und was sagt deine WG dazu? Wie bitte?
Feeling? Verstehen viele nicht mehr wie es damals gemeint war, oder was das überhaupt soll. Was haben wir uns unter Verkehrsformen vorzustellen? Den Luftverkehr oder den Satellitenverkehr im erdnahen Orbit? Begriffe wie diese werden teils humorvoll hinterfragt, lesen macht durchaus Laune und ist auch heute noch verständlich. Wenn auch vieles aus dieser Denkweise etwas unverständlich wirkt, sogar für ehemals Beteiligte, die seinerzeit von diesen Gemeinplätzen  irgendwann nicht weniger genervt waren.
Über Vernetzung steht auch was und das liest sich heute wirklich seltsam. Wende ist auch etwas aus ferner Vergangenheit, müssen etliche Zeitgenossen heute eher im Netz suchen, wofür dieser Begriff mal stand.
Hier findet sich u.a. ein Gedicht.
"Hier wendet sich der Gast mit Grausen: So kann ich hier nicht ferner hausen." (Friedrich Schiller)

Demo ist auch heute noch geläufig. Abk. (siehe Abkürzungswahn) für Demonstration sollte man meinen. Hier liest sich das wie folgt.
"Frankfurts Metzger schlachten ein Schwein auf der Fressgass! Demo gegen die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen!"

Den Fleischern geht s schlecht. Deshalb machen sie eine Demo - was soll das nur heißen, was in der Schlagzeile der Abendpest - Nachtausgabe steht? "Demo" - meint das mehr Demo-kratie? Oder aber Demonstration der handwerklichen Geschicklichkeit beim Schlachten von Schweinen?........
Gleichwohl: Meine Bezugsperson von Staatsschutz hat mir vertraulich mitgeteilt, hinter der ganzen Demo stecke eigentlich ein Drahtzieher aus dem Osten, der an der Lomonossow - Universität ein schlechtes Deutschexamen hinter sich habe, der ständig a und o verwechsle und deshalb annehme, "Demo" sei die Abkürzung für "Demagogie."
Links rechts ist bis heute aus der Politik der Linken! nicht wegzudenken und zu diesem Gemeinplatz erfährt man sogar Interessantes.
In Kluges unvermeidlichem Etymologischen Wörterbuch finden wir etwas äußerst Aktuelles:"links" = "die günstigere Seite bei Opfer und Vogelflug". Damit passt dann wieder gut zusammen, was im Wörterbuch der beiden Grimms steht: "Zur linken Hand geht der gesellschaftlich weniger Geltende". Links, wo es sowieso weniger zu holen gibt, werden die besseren Opfer gebracht.
Wer kennt noch den Begriff, sich verankern? Früher war die revolutionäre Linke, bzw. die sich dafür hielt, stets irgendwo verankert, im Betrieb, im Viertel, an der Uni oder wer weiß wo sonst noch. Allerdings waren sie in Fragen der Nautik eher unbedarft.
Dazu lesen wie auch ein nettes Gedicht.
Wer die Inseln nicht zu erobern glaubt, dem ist Ankerwerfen wohl erlaubt.
Arbeitet der Kopf? Oder arbeitet man mit dem Kopf? Gibt es Kopfarbeit? Das war mal ein wichtiger Begriff und dazu lesen wir u.a. was Marx über die Verbindung von Hand und Kopfarbeit sagte. Und genau da gibt es ein Problem.
Karl Marx sah in der dem Kapitalismus eigenen strukturellen Trennung von Kopf- und Handarbeit eins
der Grundübel dieser menschenfeindlichen Gesellschaftsordnung. Nach Marx konnte diese Trennung jedoch erst im Kommunismus, dem höchsten Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung, vollständig beseitigt werden: "Morgends zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben...." An sich mag diese sehr praktische Formulierung einer theoretischen Utopie Hand und Fuß haben, an und für sich wendete sie sich jedoch alsbald gegen die Sache des Kommunismus selber. Auf der einen Seite machte sie alle passionierten Angler und Sportfischer aus Angst vor dem zu befürchtenden allabendlichen Gedränge an ihren bislang so stillen, obwohl flachen Gewässern zu fanatischen Antikommunisten, andererseits führte diese Prophezeiung aufgrund mangelnder Durchführungsbestimmungen innerhalb der vulgärmarxistischen Auslegung der historisch materialistischen Gesellschaftstheorie zu einigen folgenreichen Mißverständnissen. Eines davon hat nicht nur das Lebensgefühl einer ganzen Intellektuellen- generation geprägt, sondern diese Generation erst geschaffen.......

Anders gesagt, man wollte mit der praktischen Umsetzung dieser theoretischen Utopie nicht bis zu dem nach endlosen Diskussionen für den St Nimmerleinstag angesetzten Kommunismus warten, sondern Hand und Kopfarbeit schon hier und jetzt verbinden; die Generation der theoretischen Praktiker und der praktischen Theoretiker war geboren: Fortan wurde in den theoretischen Zirkeln der studentischen Kreise nicht nur abstrakt gedacht, sondern da wurde ganz praktisch an Gedanken gefeilt, da wurden großartige Gedankengebäude erbaut, Pläne geschmiedet oder zumindest an der richtigen Linie gezeichnet. Auch im Bereiche der Liebe ging man zur Verbindung von Hand und Kopf über und brachte seine kopflastigen Gefühle ganz einfach in handliche Beziehungskisten unter.
Vor diesem Hintergrund kann man sich den Niedergang der Studentenbewegung etwa so vorstellen: Die einen feilten so lange, bis von ihren Gedanken nurmehr ein Häuflein feinster Späne übriggeblieben war, die Gedankengebäude stürzten auf Grund der Verschärfung der statischen Gesetze bald ein ...... und lösten sich in die statisch eh unberechenbaren Luftschlösser auf; und die, die am eifrigsten die heißen Pläne geschmiedet hatten, und die, die stets unverzagt auf der richtigen Linie gegangen waren, verloren ebenfalls bald den Spaß an ihrer geistig-körperlichen Tätigkeit; zu oft hatten die Daumen unter den teilweise recht schmerzhaften Fehlschlägen gelitten, denn nicht immer trafen die in der Handarbeit ungeübten Kopfarbeiter mit ihren Ratschlägen den Nagel auf den Kopf (daher die geballte Faust mit den nach innen gebogenen [geschwollenen] Daumen als neues Durchhaltesymbol der revolutionären Kopfarbeiter- bewegung.
Die Mischung aus ernsthafter Hinterfragung und Heiterkeit macht die Würze aus. Keine staubtrockene Wortanalyse, eher Nachdenklichkeit über Worthülsen die inflationär gebraucht wurden, sich dabei abnutzen und irgendwann inhaltsleer wurden.
Nach bald dreißig Jahren könnte man eine Neuauflage erstellen.
Was durchaus bemerkenswert ist, ist das schon so lange her? Und noch bemerkenswerter scheint, wie wenig sich verändert hat, genug Zeit aus den alten Dummheiten zu lernen war ja da.
Viele der alten Schlagworte sind verschwunden, dafür entstanden andere und aktuell schwirren eine ganze Menge davon im Netz rum, über deren Sinn man heute mal nachdenken darf. Begriffen? Genau, begreifen, kapieren. Bei manchen linken Kreisen muß man immer was begriffen haben und wer nicht allen Vorurteilen zustimmt, der hat eben nichts begriffen und ist damit nicht ernstzunehmen.

Das müsste mal genauer definiert werden? Doch wer hat die Macht zu definieren?  Eben, Definitionsmacht, auch so ein Schlagwort, das auf linken Seiten rumspukt und sein Unwesen treibt. Wie man also sieht, das Thema ist nach wie vor aktuell.