Samstag, 30. Juni 2012

Partei Kaputt

Karl Schlögel, Willi Jasper, Bernd Ziesemer: Partei kaputt. Das Scheitern der KPD und die Krise der Linken. Berlin: Edition VielFalt bei Olle und Wolter, 1981

Als dieses Buch 81 erschien, bewegte sich einiges in der Politlandschaft. Ob Startbahn, Hausbesetzung oder außer Kontrolle geratene Demos, es war eine für viele unruhige Zeit und sicher auch für nicht wenige, ihre ersten Erfahrungen in der Politik. Für andere dagegen, war eine lange politische Phase beendet. Eben die K Gruppenphase der 70iger Jahre und deren Organisationsformen aufgelöst oder zerfallen. Eine davon war die KPD/AO plus Nebenorganisationen. In diesem Buch äußern sich nicht einfache Mitglieder dieses Vereins, sondern die Hauptverantwortlichen, wenn man so will. Diejenigen, die an führender Stelle dieses Vereins standen und nach der Auflösung selbstkritisch Auskunft über ihrer politische Arbeit geben. Der politische Hintergrund ist auf die 70iger Jahre zeitbezogen, daher nicht einfach nachzuvollziehen, dafür ein beachtliches Zeitdokument, in dem ehemalige Sektierer selbst über ihre Politik und den Veränderungen im Denken Auskunft geben, das schließlich zur Parteiauflösung führte. Das Buch enthält Aussagen, die seinerzeit zum Parteiausschluß geführt hätten oder in der SU zur Zeit Stalins lebensbedrohend gewesen wären.
Das Buch besteht aus Aufsätzen der Beteiligten und der Wiedergabe einer Diskussion zum Thema.

Nach der Parteiauflösung die Feststellung, das für die einen ein fixer Punkt aus ihrem Freund/Feind Weltbild verschwunden ist, für andere zeigte sich eine Selbstreflektion, die sie den Sektierern nicht mehr zugetraut hätten.
Zehn Jahre intensiver, opferreicher politischer Praxis umsonst? Diese Frage wird hier gestellt und dies ist eine Frage, die sich viele die an solchen Projekten beteiligt waren, stellen mußten. Was hat sich in dieser Zeit abgespielt? Etwa beim KSV, der Studentenorganisation dieser Partei? Darüber lesen wir, ...das sie als privilegierte, so wurde gemeinhin das Studium verstanden, jederzeit einsatzfähig zu sein hatten. Der KSV ein Ort permanenten schlechten Gewissens. Wo es keine proletarische Avantgarde gibt, brauchen Studenten sich auch nichts von ihr sagen zu lassen. Freilich war dieses Verhältnis der Unterordnung nicht erzwungen, sondern freiwillig eingegangen. Unsere Organisation kam durch freien Entschluß zustande, niemand wurde zu irgendwas gezwungen oder manipuliert, diejenigen die sich für sie entschieden, taten dies, weil sie darin ein gewisses Maß an Selbstverwirklichung im kollektiven Rahmen erwarteten, weil sie Formen der Mitsprache und Anerkennung suchten, die ihnen in der Gesellschaft oder in anderen Organisationsformen verwehrt waren, weil sie Solidarität erhofften. Nur deshalb bringt man auch Opfer.
Warum machen Menschen diese Politikform über Jahre mit? Hier haben wir einen Erklärungsversuch vorliegen.
Vom veränderten Politikverständnis ist vielfach die Rede, was sich hier wiedergeben lässt.
.....endgültige Verabschiedung von einer Gesellschaftskritik bzw. Revisionismuskritik, welche die osteuropäische Entwicklung als Verrat am wahren Marxismus zu fassen versucht hatte.
Hier haben wir von den Beteiligten selbst die Einsicht vorliegen, das die maoistischen ML Parteien ein (so würde man es heute nennen) fundamentalistisches Weltbild vertraten. Verrat an der reinen Lehre, dies war der Hauptinhalt des Maoismus, mit der die Kommunistische Kirchenspaltung von Mao begründet wurde und im Westen zur Neugründung von Maoistischen Parteien führte, von denen die KPD/AO nur eine war. Wer in dieser Weltsicht drinsteckte, brauchte lange, um sich von diesem Wahn zu lösen und zu begreifen, das dies auf alle Utopien (politisch oder religiös) zutrifft. Wenn es in der Praxis nicht wie gewünscht läuft, dann werden oft Verräter an den Grundlagen gesucht und für das Scheitern verantwortlich gemacht, das erspart die Einsicht, das Utopien zwar auf dem Papier bestens funktionieren, aber letztlich nicht von Büchern sondern von Menschen realisiert werden müssen und Menschen sind weder perfekt, noch lassen sich ihre Bedürfnisse in zwei Buchdeckeln pressen.

Gerade als gebranntes Kind sollte man darauf verzichten,sich eilig einem neuen unreifen Totalitätsanspruch gesamtgesellschaftlicher Krisenlösung zu unterwerfen, gleich aus welcher Richtung er kommt.
Dies als Hinweis auf viele Exmitglieder, die bei den Grünen eine neue Heimat fanden.

In der Rückschau geht es auch um das Verhältnis der Partei zu den Protesten gegen Atomkraft. Der Kontakt der Mitglieder mit der Anti AKW Bewegung hatte zwar zunächst die übliche Absicht, die Partei zu vergrößern, was aber nicht vorgesehen war, die Beteiligten lernten eine andere Protestkultur kennen und verließen erstmals den eigenen begrenzten Politikhorizont. Dies ist hier wie folgt zu lesen.
Als die KPD Führung im Rahmen ihrer Ausrichtung auf eine einseitige Politik gegen die Sowjetunion sogar die Anti AKW Bewegung darauf verpflichten wollte, "zur Stärkung der nationalen Unabhängigkeit," für das deutsch/brasilianische Atomgeschäft einzutreten, war dies eine Folge einer hausgamachten Logik und Äußerlichkeit gegenüber realen Bewegungen. Ist erstmal die "Verschärfung der Kämpfe" mit der Rolle der KPD gleichgesetzt, ergibt sich umgekehrt, das an Auseinandersetzungen die ohne die KPD oder zumindest nicht an den von ihr prognostizierten "Widersprüchen" ausbrechen, etwas faul sein muß.
....das nicht der unmittelbare Erfolg der verschidenen Kämpfe, sondern einzig und allein, die Stärkung der höchsten Klassenorganisation des Proletariats, der Kommunistischen Partei, eigentlicher Sinn und Zweck aller Bemühungen zu sein habe.
Das war die Denkweise in solchen Organisationen und ist es heute noch, soweit solche Vereine überlebt haben. Wenn heute etwa die MLPD die Atomproteste notorisch als kleinbürgerlich diffamiert, dann zeigt sich, das dieses Buch selbst nach dreißig Jahren nicht veraltet ist.
Die KPD sah sich in ihrer ganzen Entwicklung mit der Tatsache konfrontiert, das ihre prognostischen Fähigkeiten gegenüber sozialen Bewegungen, stets neben der realen Entwicklung lagen. Während man auf der einen Seite versuchte durch eigenen Kraftanstrengungen neue Bewegungen zu schaffen, allzuoft in der Form säuberlich konstruierter "Massenorganisationen," stand man den tatsächlich vorhandenen Bewegungen skeptisch gegenüber.
Hier haben wir die typisch stalinistische Denkweise. Alles was die Partei nicht im Griff hat, ist verdächtig. Hier zeigen sich Kommunistische Parteien stets als Kopie des Staates und der Gesellschaft die sie vorgeblich umwälzen wollen. Autoritär und hierarchisch hat alles abzulaufen und was außerhalb dieses engen Rahmens abläuft, ist verdächtig, kleinbürgerlich, jedenfalls dient es weder den Parteizielen noch der Revolution. Solche Einstellungen haben bis heute bei einigen Kleingruppen überlebt und es ins Internet geschafft.

Zehn Jahre Parteigeschichte ist aber auch widersprüchlich. Die Partei plus Umfeld mag autoritär gewesen sein, doch offenbar flüchteten einige von einer Form der Autorität in die Nächste.
Was sich so liest. ....das viele innerhalb der KPD und vor allem im KSV für sich persönlich eine Emanzipation von den alten Autoritäten der APO gesehen haben. Es war ja nicht unbemerkt geblieben, das die SDS Veranstaltungen alles andere als antiautoritär waren. Mit Recht hat damals eine Reihe jüngerer Studenten eine innere Genugtuung empfunden, als sie mit Rückendeckung des KSV den 68ger Autoritäten auch mal das Wort entziehen konnten.
Es ist eben deprimierend festzustellen, wenn sich manche Beteiligte nur gegen autoritäre Anmaßung mit neuer autoritärer Organisationsform wehren können und dies auch noch als Fortschritt betrachten. Dies war eben eine Zeit, in der man ohne Organisation nicht ernst genommen wurde, in der Einzelmeinungen nichts galten und nur Gruppen die Möglichkeit hatten, sich öffentlich zu Wort zu melden. Es gab eben noch nicht die Möglichkeiten des Internets. Hier ist es sogar einer kleinen Gruppe von Usern, die sich nicht mal kennen müssen, verstreut leben und sich nie gesehen haben, möglich, eine Kleinpartei zur Weißglut zu reizen. Alles was sie dafür brauchten, war ein Rechner und ein zum Forum zweckentfremdetes Guestbook.

In der Schlußphase der Parteigeschichte wurde auch in der Parteizeitung die Debatte offener geführt. Es ließ sich nicht mehr intern abhandeln, zuviel hatte sich an Zweifeln und Kritik aufgestaut. Immer mehr Beteiligte begannen aus ihrer ideologischen Scheinwelt aufzuwachen. Dies liest sich dann so.
Interessant ist ja, das gegen Ende der Parteidiskussion - also im Laufe 79 -eine Situation eintrat, in der Dinge gesagt werden konnten, für die man vorher ausgeschlossen worden wäre. weil sie mit einem gewissen doktrinären Konsens nicht vereinbar waren. Es gibt kein Gesetz, demzufolge eine Avantgarde aufgebaut werden muß. Das wir uns angemaßt haben, die Führung der Arbeiterklasse sein zu wollen, dafür gibt es keine Logik.
Mit so einer Aussage stellt man die Basis des Marxismus Leninismus in Frage. Dafür wäre man aus jeder Kommunistischen Partei achtkantig rausgeflogen. Wenn diese Erkenntnis bei der Parteiführung selbst angekommen ist, dann ist die Beendigung des Projekts nur konsequent und war immer noch die bessere Alternative als dem langsamen Zerfall abzuwarten, was genau mit den Konkurrenzsekten passierte, die sich 80 zunächst schadenfroh die Hände rieben. So heißt es dann auch rückschauend über die Parteiauflösung, sie ist gesprengt worden und nicht verrottet, die Zeit stellt einen furchtbaren Umweg dar, aber von geraubten Leben zu sprechen, finde ich absurd und idealistisch.
Doch, es stimmt schon, viele in solchen Vereinen sahen diese Zeit als vergeudete Jahre ihres Lebens an, in der sie sich abgemüht hatten und davon politisch kein greifbares Ergebnis sahen und sich hinterher fragten, für was eigentlich die ganzen Anstrengungen.