Mittwoch, 11. Juli 2012

Stilet

Dokumente zur Zeitgeschichte
 Stilett Nr.56 Juni 1980

Organ der aufgehenden Drachensaat.

En heissä Summer - aber subito.
Auch wir fürchten uns vor der Gewalt. Aber wir gehen davon aus, das ein Gespräch mit den Behörden, mit den Vertretern der Staatsgewalt nicht mehr möglich ist, es noch nie war.
Gewalt, diplomatische Winkelzüge,rethorische Kabinettstücklein, plumpe Lügen und liberale Abwiegelei - das, und nichts anderes haben wir vom Staat zu erwarten. Er zeigt es uns immer wieder, jedesmal nämlich, wenn er sich zu uns herunterlässt.
Er fordert uns auf, SEINE Vorstellungen von Moral, von Freiheit; Ordnung und Recht als Spielregeln zu aktzeptieren. Spielregeln einer Demokratie, die mit der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes so wenig zu tun hat wie ich mit dem Arsch von Emilie (ausser wenn ich mal reintreten dürfte, mit Verlaub).
Wir dürfen reden, Briefe schreiben, die Spielregeln befolgen, nett sein, eine gefreute Jugend sein. Wir dürfen sogar manchmal etwas verrückt sein - das darf die Jugend nämlich -aber eines dürfen wir nicht: FORDERN!! -Denn wer fordert, hat nachgedacht und wer denkt ist eine Gefahr.
Ja, wir denken, wir sind erwachsen, wir sind moralische Menschen im besten Sinne. Denn wir sehen wie rund um uns der unbegrenzte Wahnsinn stattfindet und wir REAGIEREN. Wir sehen wie sie uns tödlich Energieerzeuger vor die Nase stellen, wie sie uns im Verkehr ersticken, wie sie unsere Gehirne mit stupider Arbeit austrocknen, wie sie uns systematisch zu fickrigen Valiumfressern machen... ach was noch alles mehr, stundenlang könnte ich aufzählen.
Zehn Jahre lang haben wir uns jetzt in der Versenkung ein hübsches Wut- und Frustpäcklein zugelegt, indem wir nicht nachliessen, die Mauern anzurennen. Das Gespräch, reden miteinander, auch mit den Bürgern, mühselige Schikanen von Hausbesitzern, Polizisten und Ämtern, alles haben wir geschluckt, und das frisst an den Eingeweiden. Wir haben auch resigniert, sind nach Innen emigriert, und wenn mal einer losschrie, dann war er - schwupp - schon interniert.
Nett sei sie, die Jugend, hiess es kürzlich - wie verschnupfte Hunde, mit ängstlichen Augen und eingezogenen Köpfen und Schwänzen sah man sie, mundtot gemacht, sprachlos, durch entseelte Häuserschluchten schleichen.
Nichts ging mehr - bis jetzt am dreissigsten Mai: heiliger Strohsack - wie da die Augen glänzten, und nicht etwa aus Hass, kein Fanatismus - nein, man spürte sich selbst wieder einmal. Es war die Medizin für Herz und Seele, wenn eine Scheibe zerbarst. Freude, als haben das Leben gerade erst angefangen. Maikäfer flieg! Die Alkis aus dem Dorf - "hurraaa!", schrieen sie und stürzten sich mit dem halsbrecherischen Glück der Besoffenen ins Getümmel. Ganz normale Leute auch, denen man irgendwie ansah, wie gut es ihnen tat, endlich einmal die sonst so fest eingesperrte Sau rennen zu lassen. Da lösten sich lange Jahre der Verdunklung und der dumpfen Lebensrythmen, als springe ein hartnäckiger Husten endlich kollernd aus dem Rachen. Man atmete wieder.
Und als die Herren, die da für Ruhe und Ordnung verantwortlich sind, vernahmen, dass ein Blitz eingeschlagen habe; als sie einfach keine Rädelsführer ausfindig machen und sich die ganze Sache überhaupt nicht erklären konnten, da waren sie völlig verdattert und fragten den Polizeipsychologen, ob denn sowas normal sei...
Aber was interessieren uns schon Räte- Mit denen können WIR sowieso nicht reden. Wir haben an diesem Abend etwas Absurdes, etwas Sinnloses gemacht. Keiner hat mehr gefragt, ob es jetzt richtig sei, derart auf den Putz zu hauen. Keiner, auch wir selbst nicht, konnte sich vorstellen, wie es überhaupt so weit kommen konnte, aber es kam, einfach so, wie ein Gewitter aus heiteren Himmel. Die anderen sind jetzt ein klein wenig aus dem Konzept gebracht, sind unsicher, und WIR, wir sind fröhlich, haben mal endlich einen herrlichen Power und LEBEN wieder.
Doch unterdessen sind bereite drei Wochen vergangen. Es wurde etwa soviel geredet, wie Wasser die Limmat herunter floss. Die Stadt, dieser riesige Schleimklumpen, wurde da und dort etwas eingebuchtet. Er hat sich zu gewissen, diplomatisch genaustens auskalkulierten Konzessionen herbeigelassen. Nicht unter unserem Druck, sondern aus purer Berechnung: lasst sie kommen, lasst sie ihre Energie verpuffen, gebt Zückerchen, gebt Fabriken und wartet zwei Monate, bis alle Wut verraucht ist. Dann kann ein autonomes Jugendhaus mit Leichtigkeit zum Tummelplatz krimmineller Elemente gestempelt und infolgedessen sogleich wieder in den behütenden Schoss von Mutter Stadt zurückgeführt werden.
Und jetzt schon, im Volkshaus und vor allem an der Uni-Demo, zetern einige mit Vehemenz, Gewalt sei sinnlos. Jetzt schon plappern sie die Worte der Tagespresse nach, haben das Gefühl, der "Bewegung" zu schaden, diese feinen Herren am Megaphon.
Es mag ja sinnlos sein Steine zu werfen, ABER HÖRT ENDLICH AUF, SINNVOLL ZU SEIN, denn sinnvoll ist ein Wort der Anderen. Es ist in IHREM Sinn, wenn wir schweigen, es ist IHRE Ordnung, der wir zu gehorchen haben, sie verteidigen IHRE Gesellschaft mit Gas. - WIR haben nichts damit zu tun. Handelt nur noch nach dem Gefühl. Und wenn ihr genügend Hass verspürt, dann schmeisst eben die Scheiben von Opernhaus, von der NZZ oder von Odeon ein, plündert, brandschatzt, aber diskutiert nicht lange darum herum, ob es jetzt einen Sinn habe, oder ob es der "Bewegung" schade. Meine Mutter hat immer gesagt: "Nützt s nüt, so schadt s nüt".
Spätestens dann, wenn die Schergen aus ihren Kasernen ausrücken, die armen Schweine, dann sprechen Gas, Steine, Knüppel und nochmals Steine ihre eindeutige Sprache.
Auf der Uni- Wiese haben viele geschmunzelt, als ein junger Hitzkopf mit erfrischender Naivität verkündete, der Staat müsse abgeschafft werden. - Wie sehr hatte er doch recht, wie wenig gibt s da zu lachen.
Das Opernhaus, die Rote Fabrik, das 18/20, die NZZ, der Videofilm (war da noch was...?) aj ja, das Begezett, die Kaserne, alles das sind "nur" die Auslöser. Doch dahinter häuft sich ein immenser Berg von Behördenwillkür, von Wirtschaftsinteresse, Polizeigewalt, von Erniedigung, Entmenschlichung, Abstumpfung. Jedes klare Wort wird in bürgerliche Rhetorik kanalisiert. Das Neumarkttheater kann militanteste Gedichte lesen. Sogar Emilie findet s lustig. Sigi kann uns anlügen, ohne überhaupt nur ein Wort zu sagen. - Und wir wollen verhandeln, das "Gespräch" suchen? Gespräch mit wem? - Mit Vertretern der Behörden bestimmt nicht. Wir reden nicht dieselbe Sprache. Eine Verständigung ist unmöglich. Zu viel steht auf dem Spiel für SIE - die Anderen. Ihre ganze fein säuberlich strukturierte Staatsmaschinerie ist in Gefahr. Sie DÜRFEN uns gar nicht verstehen. Es wäre ja das Ende des Staates!
Deshalb - lasst das unbekannte Tier in euch selber los, lasst es Betonklötze niederreissen. Wehrt euch gegen die hyperreflexiven Abwiegler in den eigenen Reihen, die immer erst einen Sinn brauchen, bis sie losgehen, die erst ein Jahr später begreifen was los war. Wehrt euch gegen die studentischen Bremsklötze und gegen die Vermittler genauso wie gegen die Bullen.
Polizei und Staat ssind dazu da, abgeschafft zu werden. Die klugen Köpfe sind dazu da einen intellektuellen Überbau zu schaffen.
Doch wir sind dazu da, Verwirrung zu stiften, denn nur Verwirrung kann Veränderung bewirken.