Hinterher ist man bekanntlich immer klüger. Dazu mußte man erst seine eigenen Dummheiten machen, danach wußte man es besser.
Rückblickend gesehen ist die Zeit am schwierigsten, wenn man vor dem Übergang steht. Ob Schule zuende oder endlich selbstständig, die Übergangszeit ist genau die Phase wo man einerseits offen nach neuen Möglichkeiten sucht, sich nach neuen Zusammenhängen oder Freuden umsieht und da und dort reinschnuppert. Genau dann kommen von überall die Angebote. Da ne Parteizeitung, dort n Flugblatt und hier ne Gruppe. Man will nicht allein dastehen und irgendwo dazugehören und genau da ist man noch offen für solche gutgemeinten Angebote. Da scheint es was zu geben, was dem Leben einen Sinn gibt. Da sind Menschen, die das Gleiche wollen. Na scheint so. Wer noch zuwenig eigene Erfahrung hat, ist noch offen und erst später steht man solchen Angeboten mißtrauisch gegenüber.
Diese Phase muß wohl jeder mal durchmachen und wo man da überall landen kann? Plötzlich findest dich als Flugblattverteiler einer unwichtigen Randgruppe wieder und glaubst, an der Vorbereitung der Revo beteiligt zu sein. Oder pfeifst dir unlesbares Zeug rein, weil das grad angesagt zu sein scheint ohne zu merken, das es nur ne Minderheit überhaupt interessiert.
Nach einiger Zeit legt sich das zum Glück wieder und die Beteiligten verlassen das sinkende Schiff. So darf man sich eben nicht wundern, wenn dir an der Uni auf einmal junge Zeitungsverteiler der MG gegenüberstanden und sicher nicht begriffen, was sie da taten. Ebensowenig über die Linksruckkinder die eifrig agitierten und wenn ich denen gesagt hätte, so hab ich auch mal dagestanden, da warst noch nicht auf der Welt, hätten die was verstanden?
Bei anderen linken Gruppen scheint der Unterschied auch nicht so gravierend zu sein, selbst wenn deren Politik weniger nach Dogmatik riecht. Auch da siehst erstmal junges Volk, die hast aber auch schon vor zehn Jahren gesehen. Natürlich nicht diese, das ist nur die nächste Generation. Hier findet ein regelmäßiger Generationenwechsel statt, irgendwann ist die Demophase abgehakt, es gibt anderes zu tun. Arbeit suchen und Geld verdienen möglicherweise. Das ist auch der Grund, warum Mißtrauen angebracht ist, vor allem wenn sich die Parolen zu radikal anhören und sich die Aufrufe zu zweifelsfrei anhören. Hast doch alles bereits gehört. Wo werden die in zehn Jahren landen und was erzählen sie dir dann? Ist man jung und an irgendeiner Geschichte beteiligt, dann neigt man dazu alles recht ernst zunehmen. Hinterher merkt man, es war wohl nicht so gemeint und war ohnehin nie so ausführbar. Erinnern kann man an die gestrengen Ökoregeln und dem Biokult. Da die Beteiligten meist notorisch wenig Geld hatten, versorgten sie sich doch bei Aldi. Diese Zeiten waren voll von solchen widersprüchlichen Verhaltensweisen weil es eben kein richtiges Leben im falschen Verhältinissen geben kann und weil niemand total gegen die Außenwelt leben kann. Vorwerfen kann man ihnen aber, das sie zumindest diese Illusion erzeugten. An diesen Punkt hast gelernt mißtrauisch zu sein und ihnen nicht vorbehaltlos alles abzukaufen. Selbst da wo es sich zunächst recht gut anhört, sollt man wachsam bleiben.
Hier lässt sich das Politzeug mit den wechselnden Jugendkulturen vergleichen, die auch irgendwann wie ein Spuk verschwinden und übrig bleiben ein paar verwitterte unverständliche Parolen an der Wand.
Von den Frauendemos am Frauentag ist nicht mehr viel zu sehen, die Sprachverunstaltung hat selbst die Taz aufgegeben und die letzten dieser Spinner haben sich wie es scheint ins Internet geflüchtet.
Das Zubehör, ob Latzhose oder Palituch ist längst in der Tonne gelandet und allenfalls auf alten Photos sehen sich die älter gewordenen Beteiligten nochmal und meist ist es eher peinlich. Echt, wie hab ich damals ausgesehen, so wollt ich heut nicht mehr rumlaufen.
Zurückblicken kann man auf Vietnam, die Blauen Bände die damals studiert wurden und die Zeitgenossen, die dir damit die Welt erklärten. Einer davon ist heute Chefredakteur beim Handelsblatt. Danach predigten dir andere, nur in der Landkommune liegt das Heil, für andere lag es im Indiengurutrip oder im Alternativbetrieb. Wieder andere schißen dir mit Männerhassparolen das Hirn zu oder suchten sich ihre Projektionsfelder in der dritten Welt. Nicht zu vergessen, der Insiderwitz von den Ökokonsumverweigerern die dann in der Werbeagentur landeten, wo sie für Konsumsteigerung trommeln. Die Liste ist keineswegs vollständig.
Blickt man auf zwanzig oder dreißig Jahren zurück, lässt sich eine ganze Sammlung von Moden und auch Politmoden ausmachen und deren Wechsel. Irgendwann ist das abgehakt und übrig bleiben einige Zurückgebliebene, die nicht gemerkt haben, wann das Spiel zuende ist. Die haben dafür im Netz ihre Spielwiese gefunden und auf deren Seiten scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Sie selbst sind ja ebenfalls in der Zeit stehengeblieben und leben in der Vergangenheit. Nur selbst sind sie älter geworden und wenn man so einen Sektenblattdealer bei einer Studentendemo sieht, dann hast so ne tragische Figur vor dir. Da hat einer den Ausgang nicht gefunden und das alles etwas zu ernst genommen.