Dienstag, 3. Juli 2012

Demofotos

Spitzelparanoia

Diesen Text kann ich in eigener Sache schreiben. Es geht darum, das ich 80 bei Demos eine Kamera mitschleppte. Das war eine Zeit, in der so ein Benehmen etwas daneben war und wer auf Demos fotografierte, galt als Spitzel.
Doch nicht immer war eine Kamera nötig, auch wer in einer bestimmten Szene nicht ins Raster passte, oder nicht vorbehaltlos jeden Mist zustimmte, konnte schnell zum Spitzel werden. Da reichte es oft schon, wenn man nicht ganz so verrottet aussah.
Oder wenn man genauer nachfragte, sich nicht mit den vorgefertigten Kommandoerklärungen zufriedengab. Da war der Spitzelverdacht nicht mehr weit. Der Haufen war eben recht paranoid. Dabei war die Spitze des Irrsinns noch gar nicht erreicht, die folgte im Zusammenhang mit dem Hungerstreik und den Knastgruppen. Da konnt schon jemand verdächtig werden, der sich vor einer Woche rasiert hatte, oder dieses Jahr schon einmal Seife benutzt hatte.
Bemerkenswerterweise traf die Paranoia zumeist die Männer, Frauen hatten Vertrauensvorschuß.
Nun ist das ja mittlerweile lang genug her und von den damaligen Aufpassern ist nicht mehr viel zu sehen und noch weniger zu hören.
Dafür scheint es neue zu geben. In einen Fall wurde im Netz vor mir gewarnt, die Zeiten ändern sich eben und so sah das dann aus.
"saul hat mit dem Kampf um politische Veränderungen nix am Hut, umkreist in Frankfurt aber jede Demo wie ein Adler und macht ständig Fotos. Ausser seiner Beteiligung an der Hetzkampagne gegen die MLPD gibt es einige Details die dafürsprechen, daß er für den BRD-Geheimdienst arbeitet. Wenn der bei euch auftaucht seid bitte wachsam."
Diese Zeilen konnte ich dann auf eigenen Webspace dokumentieren, der Netzwelt erhalten und zudem mit satirischen Spott abhandeln. Im Netz muß man keinen Unfug unwidersprochen lassen. Es hat sich eben einiges verändert. Wenn es keine Zusammenhänge mehr gibt, die mich mit Rauswurf sanktionieren könnten, oder wenn ich bei den meisten Aktionen ohnehin nur Zaungast bin, die mich zudem ohnehin nicht übermäßig interessieren, kann ich das doch lockerer angehen. Solche Gestalten haben keine reale Macht ihre Dummheiten anderen aufzudrücken. Fotografieren tut heute jeder, kannst gar nicht mehr verhindern. Die Digitalwelt hat eben einiges verändert. In die heutige radikale Politwelt pass ich schon vom Alter nicht mehr rein und wer wollt mir da noch mit Ausschluß drohen? Die politischen Veröffentlichungen dieser Szene betrachte ich ohnehin nur noch mit angemessenen Abstand. Muß ich nicht weiter ernst nehmen. Erfahrungsgemäß, was heute hochkocht ist morgen schon Schnee von Gestern.
Schon meine Archivarbeit ist lange her, hab also keinen Anlass linkes Graupapier zu sammeln, allenfalls kann ich mich noch mit dem Erscheinungbild befassen, den Inhalt kann ich grad mal als Satirevorlage gebrauchen.
89 hatte ich Gründe in diese Welt noch mal reinzuschnuppern. Auch um selbst zu sehen, was da passiert und mich nicht auf die Mediendarstellung zu verlassen. Da hatte ich bereits genug Distanz um mich nicht übermäßig reinzuhängen und das übliche Mißtrauen ließ sich noch wegstecken. So war ich sogar noch in der FH bei diesen Kongress 86 dabei. Als es ungemütlich zu werden drohte, weil draußen die Polizei aufmarschierte, hatte ich auch keine Probleme, eine günstige Gelegenheit zu nutzen um mich vom Acker zu machen. In der Folgezeit überließ ich diese Welt sich selbst und egal was noch lief, zumeist glänzte ich durch Abwesenheit.
Zumal ich mittlerweile woanders beschäftigt war und in dieser Welt galten andere Regeln, mit linker Bildparanoia hatte diese  Welt nichts zu tun, ebensowenig mit den ganzen linken Politgeschichten.
Als ich von der Steinmetzgeschichte hörte, wäre Schadenfreude mein gutes Recht gewesen. Doch so tief steckte ich in der Sache ohnehin nicht mehr drin. Schadenfreude ist eine menschliche Regung und ganz verkneifen konnt ich s mir doch nicht. Das habt ihr davon. Die ganze Paranoia, das ganze Mißtrauen, das ganze konspirative Gedöns, alles für die Katz? Klar, was nützt alle Vorsicht, wenn man sich nur dem Verhalten und Erscheinungsbild anpassen muß und dazu gehört. Niemand wird mißtrauisch, der doch nicht, das ist der Allerletzte, dem man sowas zutrauen würde. Und dann passiert genau das. Was ne Enttäuschung auch.
Nun nach dreißig Jahren könnt ich doch mit der Wahrheit rausrücken, so könnt man mal meinen. Ernsthaft? Nein, kann ich immer noch nicht. Warum? Weil es völlig sinnlos ist was ich erzählen würde. Wer die Frage stellt, warst du ein Spitzel, oder hast du für den VS gearbeitet, der kennt doch schon die Antwort. Sag ich, ja es stimmt, na also, ham mers doch gewußt. Würde ich dementieren, pffft, glaub dir kein Wort.
Womit bewiesen ist, es gibt Fragen, die man allenfalls mit der Gegenfrage, was willst du als Antwort hören, beantworten kann. Und dann kannst dir grad die Frage sparen. Soll heißen, wenn du jemanden eh nicht glaubst, warum fragst du dann überhaupt? Du erwartest doch ohnehin nicht die Wahrheit zu hören.
Da wo es Gruppen gibt, die sich konspirativ paranoid benehmen, sollte man die Konsequenzen ziehen und sie ganz einfach sich selbst überlassen. Irgendwann werden sie von selbst auseinanderlaufen, spätestens wenn jeder jeden für n Spitzel hält.
Nun gut, hier ist die Wahrheit. 06 war ich beim Graffitisymposium des Verfassungsschutz in Brandenburg Stadt beteiligt. Das war das erste Mal, das ich vom Verfassungsschutz bezahlt wurde. Und darüber hab ich sogar öffentlich geschrieben.
http://de.indymedia.org/2006/04/143702.shtml
Graffitisyposium veranstaltet vom Verfassungsschutz Brandenburg