Dienstag, 28. Mai 2019

China und die Linke

Die Linke Westeuropas, insbesondere die Linke der BRD wurde vor allem durch die chinesische Kulturrevolution inspiriert.
Das was neu. Denn zum Zeitpunkt als die chinesische KP die Macht ergriff, bestand die Linke Westdeutschlands (wie auch anderswo) noch durchweg aus traditionellen Kommunisten die aus der KPD kamen, legal oder verboten. Diese war selbstverständlich nach Moskau ausgerichtet, China erschien zwar willkommen, dafür doch etwas exotisch.
Diejenigen die man später als Neue Linke bezeichnete, waren zu der Zeit wohl noch dabei das Lesen zu lernen. Als die Kulturrevolution begann, waren viele von ihnen bereits an der Uni oder Hochschule und waren fasziniert von den Roten Fahnen. Die da und dort vertretene Ansicht, die Kulturrevolution hätte die neue Linke erst erschaffen, dürfte etwas übertrieben sein, doch ein direkter Zusammenhang bestand durchaus. Nun die Strenge der Revolte gegen die Autoritäten, wie Lehrer, Respektspersonen plus Ohrfeigen sollen die westdeutsche Linke  in ihrer sog. antiautoritären Haltung erst erschaffen haben. Die traditionellen Linken stellten gewisse Grundfragen dagegen nie in Frage. Der Macht wurde Respekt gezollt, unabhängig von der Ideologie.
Die neue Jugendbewegung stellte genau diese Verkehrsformen in Frage. Soll heißen, wenn ihr schon die Macht habt, dann denken wir nicht dran unsere Forderungen auch noch höflich vorzutragen. Also wurde Respektlosigkeit in vielen Formen zum Markenzeichen der Bewegung.
Was die Kulturrevolution anging, man begann beizeiten die Meldungen zu filtern. Die Auswüchse wurden ignoriert oder rationalisiert. Gegenüber der erstarrten Politik der SU und des Ostblocks erschien China als Ort in dem noch eine dynamische Umwälzung möglich erschien.
In die Kulturrevolution ließen sich viele eigene Wünsche hineinprojizieren und der Frust des eigenen Alltags vergessen.
Doch so bleib es nicht. Die Kulturrevolution wurde von der Partei selbst beendet und nun wurde die Linke mit der Staatspolitik Chinas und der kommunistischen Kirchenspaltung konfrontiert. Im eigenen Umfeld verlor die 68er Bewegung an Bedeutung und spaltete sich. Ein Teil wanderte in die vorhandenen linken Organisationen ab, u.a. in die frischgegründete DKP. Andere gründeten ML Parteien die sich nach China ausrichteten.
In der sog. undogmatischen Linken fand die Ideologie des Maoismus ebenfalls ihre Fans. Überall gab es Versatzstücke des Maoismus auf den kaum eine Gruppe verzichten konnte und sei es in den Rechtfertigungsschreiben nach diversen Anschlägen.
Doch dafür hatten auch sie mit der chinesischen Bündnispolitik so ihre liebe Not, als China im Gegenzug zu Moskau, mit reaktionären Staaten zusammenarbeitete. Siehe: Drei Welten Theorie.
Die ML Sekten schrieben sich die Finger wund um diese Politik zu rationalisieren und wenn die Trotzkisten darauf verwiesen, wurden sie schon mal gewalttätig.
Trotzdem war die Linke mehrheitlich der Ansicht und das galt als allgemeine Übereinkunft, China gehört zu den Kräften gegen den Imperialismus und zur Welt des Fortschritts. Die Chinesen selbst fragte niemand.
Berichte aus dieser Welt, wie es den Menschen ging und wie der Sozialismus vor Ort aussah, galten als Propaganda oder wurden rationalisiert. Woran auch diverse Besuche linker Gruppen nichts änderten, denn diese linken Repräsentanten bekamen das zu sehen, was sie sehen sollten und waren auch selbst positiv voreingenommen. Jedenfalls kamen sie alle mit begeisterten Storys vom sozialistischen Aufbau zurück. Und wer nicht ganz so begeistert war, hielt besser die Klappe.
Die Veränderungen in China selbst, der Tod Maos, der Machtkampf unter dem Stichwort ‚Viererbande‘ und die anschließenden Änderungen in Richtung wirtschaftlicher Öffnung, verstörten manche Chinafans in ihrer Parteinahme. Für einige war der Fall einfach. Was immer gerade die Partei verkündete, sie waren einverstanden auch wenn sich das früher etwas anders angehört hatte. Nun was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
Doch diese Veränderungen der chinesischen Politik trafen eine maoistische Linke, die sich bereits im Niedergang befand. Neu aufgekommene Gruppen und Politikformen hatten naheliegendere Themen und für viele von ihnen war der Maoismus bereits sehr fremdartig.
Der Konflikt zwischen China und Vietnam bewegte die Maoisten noch einmal zutiefst und stellte alte Gewissheiten in Frage. Es gab eine einfache Form der Konfliktbewältigung. Man mußte nur für eine Seite im Konflikt China/Vietnam/Kambodscha eindeutig Partei ergreifen. Schon befand man sich auf der sicheren Seite und das Weltbild stimmte wieder.
Andere nutzen diese Gelegenheit um ihr Weltbild etwas zu überprüfen, das durch diesen Konflikt doch einen sichtbaren Sprung bekommen hatte. Es war Zeit sich von dem naiven Kinderglauben zu verabschieden und vor allem der Massenmord in Kambodscha stellte den linken Glauben auf eine harte Probe. Viel rationalisierten dies in Form von Ablehnung oder Verharmlosung. Gerd Koenen bezeichnete diese Haltung im Nachhinein als die linke Auschwitzlüge.
Ja, man wollte es nicht glauben, man hielt es nicht für möglich. Nun den Krieg zwischen Vietnam und China und zwischen Vietnam und Kambodscha, hätte die Linke vorher auch nicht für möglich gehalten.
Was 79 passierte war für einige ein Weckruf. Andere ließen diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Die Rettung ihres Weltbildes war ihnen wichtiger, die Menschen waren für sie ohnehin nur abstrakte Forderungen und Theorien.
In den 80ern verschwand die maoistische Linke in die Bedeutungslosigkeit. China selbst verschwand wie so einiges aus dem linken Blickfeld. Andere Themen dominierten und zudem kamen neue Generationen dazu, für die China keine Bedeutung mehr hatte und die das Maozeug schon gar nicht mehr verstanden.
Chinas Politik machte einigen noch Verdruß, vor allem als sich das Leuchtfeuer des Sozialismus, Albanien von China abwandte. Doch das waren nur noch bedeutungslose Überreste, deren Veröffentlichungen niemand mehr in die Finger bekam. Das neu anbrechende Gejammer über Chinas Rückfall in den Revisionismus, wie das nach marxistisch leninistischer Ideologie lautete, interessierte schon niemanden mehr. Man nahm solche Ideologien einfach nicht mehr ernst. Zumal viele der ehemals Beteiligten sich von der Ideologie abgewandt hatten, die Geschichte des Ostblocks als eine Story des Verrat an der reinen Lehre wahrzunehmen. So drückten es ehemalige MLer aus du das dürfte für weite Teile zugetroffen haben. Nun, es hatte auch lang genug gedauert.
Doch wie das so läuft, genau wie sich in der Religion die Gemeinde mit der Zeit des sinnlosen und erfolglosen Wartens auf den Messias, das Jüngste Gericht und so, in zwei Teile spaltet.  Den Teil, der zu dem Schluß kommt, machen wir jetzt was aus unserer Zeit, offenbar lässt das Paradies doch etwas zu lang auf sich warten und denen die sagen, jetzt erst recht.
So lief das dann auch bei den Linken, die zwar alt geworden aber immer noch treu zur Sache standen. Und die trauern mittlerweile mit Webseite ausgestattet dem sozialistischen China und der Kulturrevolution nach. Ein Betrachter hat sie treffenderweise als die neuen Trotzkisten bezeichnet. Obwohl nach wie vor erklärte Todfeinde der Trotzkisten, haben sie in Maos China ihre ideologische Heimat gefunden der sie retrospektiv nachtrauern. Genau das haben sie mit den Trotzkisten gemeinsam.
So schreiben sie heute über Streiks, Umweltverschmutzung und Unfälle in Kohlegruben. Wenn sie noch die Quellen nennen würden. Das sind Informanten in China, die oft unter hohem persönlichem Risiko solche Informationen an die Öffentlichkeit bringen.
Und wenn sie auch noch die Frage beantworten könnten, weshalb es all das im sozialistischen China nicht gegeben hatte.
Nun ja, das sind eben die Komiker der MLPD und einige Restgruppen. Die Mehrheit der Linken ist eher auf Globalisierungsdemos beheimatet und könnte das nicht mehr nachvollziehen, selbst wenn sie wollten. Nicht daß sie die Absicht hätten sich mit den alten Verratsthesen herumzuärgern und die Chinabegeisterung der 70er ist ihnen auch fremd.
Wenn China auch noch revisionistisch wird. Das war seinerzeit  der Albtraum vieler MLer. Die Befürchtung, ihr letztes Bollwerk könnte ihnen auseinanderbrechen. Das heutige China würd ihnen als apokalyptischer Albtraum erscheinen. man müßte um ihr Leben fürchten und Stricke wie alle scharfen Gegenstände vor ihnen verschließen.
Nun ja, sie hatten genug Zeit um sich von ihren Träumen zu verabschieden. Somit blieb und dieses Drama erspart. ;-)
Und heute? Wer sich links engagiert  hört ab und an von China und nimmt es zur beiläufig zur Kenntnis. Ja, es gibt Reichtum und Wanderarbeiter. Die Partei hat nach wie vor die Macht und das Internet wird zensiert. Doch den Zeiten unter Mao nachzutrauern würde heute keinen mehr einfallen. Schon die linke Kirchenspaltung nachzuvollziehen dürfte heute vielen schwerfallen. So fremd ist diese Ideologie mittlerweile geworden und in China selbst, ist die nur noch Fassade. Da glaubt eh niemand mehr so recht dran.