Mittwoch, 26. September 2012

Ereignishorizont

Die BRD Linke hat es bisher nicht geschafft, die Macht 
und den Briemarkendruck zu übernehmen. Damit blieb 
einer der historischen Fixpunkte, der Sturm auf den 
Winterpalast den Briefmarkendesignern der DDR und 
dem Ostblock  vorbehalten. Dafür ist die Graphik wie
man weiß kein Bilddokument, sondern nur ein Standbild 
aus einen später gedrehten Film Oktober von 
Sergej Eisenstein. Originalfilmmaterial gibt es offenbar 
nicht und tatsächlich geing es den Stürmenden 
seinerzeit weniger um die Macht, eher ganz konkret 
um den Weinkeller. Aber auch Revolutionen brauchen 
ihren ikonographischen Urknall und wenn nicht 
vorhanden, dann helfen wir eben nach.
Wir werden in unseren Leben mit unterschiedlichen Vorgängen konfrontiert. Zumeist nehmen wir sie medial wahr, nur an wenigen Vorgängen sind wir selbst beteiligt. Hier soll es um genau diese Geschichten gehen, an denen wir selbst beteiligt waren und die prägend wirken. Doch wann ist dies der Fall? Es ist eine Altersfrage. Wenn man jung ist, erstmalig auf einer Demo, oder erstmalig irgendwo beteiligt ist, dann wird dies prägend. Hier entschied sich oft der weitere politische Lebensweg. An diese Ereignisse erinnert man sich, die hier gelaufenen Auseinandersetzungen setzen sich im Verstand fest. man kann sie noch nach Jahrzehnten wiedergeben.
Hinterher gibt es natürlich weitere Auseinandersetzungen, die Politik geht weiter und man kann sich auch daran beteiligen, doch derart prägend werden die nachfolgenden Geschichten nicht mehr.
Es entstehen neue Bewegungen und es sind neue Leute daran beteiligt, die vor allem erstmal jung sind. Was für den Altgedienten eine bekannte Geschichte ist, wird für Jüngere zunächst mal zu einen wichtigen Teil ihres Lebens. Was auch sonst?
Damit dies nicht zu abstrakt wird, will ich dies an einen konkreten Fall verdeutlichen. Nehmen wir die M 31 Demo in Frankfurt vom März 2012, die etwas ausartete. Eine größere Anzahl von Aktivisten sorgte mit Glasbruch, Signalrauch, Steine, Sprühdose und fliegenden Absperrgittern für mediengerechte Bilder und zudem für Polizeiattacken und Einkesslung. Zumeist nach dem Prinzip, Hit and Run. Auch wer sich nicht daran beteiligte meinte hinterher bei einer Straßenschlacht dabeigewesen zu sein und die Medien bestätigten diese Ansicht. Mein eigener Bericht darüber wurde weniger freudig aufgenommen, offensichtlich hatte ich dem Kampfeinsatz nicht angemessen zu würdigen gewußt.
Das stimmt sogar, ich war nicht der Ansicht, gerade Zeuge einer Straßenschlacht gewesen zu sein. Warum? Genau hier haben wir einen unterschiedlichen Erfahrungshorizont. Wer an Geschichten beteiligt war, die etwas anders abliefen, der beurteilt diese Demo eben etwas anders, als jemand der das nur aus dem Fernseher kennt und zum ersten mal einen Autonomen sieht, der ein Absperrgitter Richtung Polizei wirft. Liefert medienwirksame Bilder, selbst wenn dabei gar nicht viel passiert. Sieht auch beeindruckend aus, wenn man zum erstem Mal sowas live zu sehen bekommt. Solche Leute soll es ja auch geben, für die Putzdemos nicht unbedingt Alltag sind oder die eben nicht mehr bei der Startbahn dabei waren.
Man nennt dies auch betriebsblind. Wer jeden Tag Stahl kocht, dem erscheint alles im Werk alltäglich, der Besucher der dies noch nie live gesehen hat, ist erstmal schwer beeindruckt. So ist das auch mit Demos, wer frühere Auseinandersetzungen erlebt hat, der bleibt erstmal gelassen, man kennt das ja bereits, selbst wenn man nicht völlig cool bleibt, denn ein Rest an Unsicherheit bleibt. Man weiß nicht was in der nächsten Minute passieren wird. Wer das noch nicht kennt, auf den wirkt das anders und an die Demo wird derjenige sich noch lange erinnern.
Da kann man auch hinterher sauer werden, wenn man meint gerade an einer harten Sache beteiligt gewesen zu sein und zu hören bekommt, halb so wild das alles, ist doch gar nichts passiert. Es handelt sich eben um unterschiedliche Erfahrungen. Da kann es schon mal vorkommen, der eine ist geschockt von unerwarteter Gewalt, der nächste meint an einer wichtigen Schlacht auf dem Weg zur Revo teilgenommen zu haben, so könnte man mal zwei Extrempunkte darstellen, der Veteran steht daneben und fragt sich, wie oft hast sowas schon gesehen? Weißt es selbst nicht mehr.
Es ist auch eine Generationenfrage, freilich ist damit nie die gesamte Generation gemeint, denn nie sind alle an einer Geschichte beteiligt.
Man spricht heute so locker von der 68er Generation. Was dabei übersehen wird, es war ja nur eine Minderheit aktiv dabei, die 68er Generation ist eine Fiktion. Es gab sie nie. Genau so wenig wie die Woodstock Generation, die erst hinterher  von den Medien erfunden wurde.  Klar ist es Unfug, eine Generation mit gesellschaftlichen Vorgängen zu identifizieren, doch es hilft eine Geschichte festzumachen und irgendwie einzuordnen, deswegen macht man es so und der Medienmainstream wird es sich trotz aller Bedenken nicht verbieten lassen.
Vor allem dann, wenn es um historische Vorgänge geht, die alle betrafen. Daher redet man von einer Kriegsgeneration, weil sich kaum jemand dem entziehen konnte und es zu viele betraf.
Von einer 68er Generation zu reden ist in den Medien üblich geworden, dabei war es nur eine Minderheit der damaligen Jugendlichen oder Jüngeren, zudem sind einige Generationen nachgewachsen, die garantiert nicht mehr dazu zählen.
Genau, einiges was da lief war prägend für die Beteiligten. Wer beim Tegler Weg dabei war (nein, war ich nicht, ist nur ein zufällig ausgewählter Fall *sfg*), für den war es sicher ein Fixpunkt im Leben, sowas vergisst man nicht. Freilich sind viele nachgekommen, die damit wenig anfangen können, denen selbst der Name nichts mehr bedeutet. Frag den durchschnittlichen Netzuser nach Tegler Weg.
(Stop, Finger weg von der Suchmaschine und Pfoten weg von Wiki, sonst gibts auf selbige)
Das Ergebnis dürfte kaum überraschen. Was? Wo? Nie gehört. Worum ging es überhaupt? Nun wer dabei war, geht heute ohnehin auf die Rente zu oder ist es bereits.
Dies war nur ein willkürlich ausgewählter Fall, man kann viele weitere anführen. Jeder der sich in der Linken irgendwo mal eingemischt hat, kann Namen nennen, die für ihn selbst einige Erinnerungen auslösen, dem Rest freilich völlig unbekannt sind. Diese Fixpunkte sind sowohl zeitlich als auch räumlich bezogen, versteht sich. Der Tegler Weg ist in Berlin und andere waren eben andernorts aktiv. Der Dreisamhof steht für etwas, das viele Freiburger kaum vergessen werden, die seinerzeit dabei waren. Viele waren woanders und da fanden andere Geschichten statt. Aus Frankfurt lässt sich der Kettenhofweg anführen. Ein Name mit dem kaum jemand noch was anfangen kann. Eine ganze Sammlung solcher Namen und Daten ließe sich anführen, viel davon sind nicht mal online erfasst, weil zu unbedeutend und selbst die damals Beteiligten halten ihre Klappe.
Was man dabei oft übersieht, ist der Zeitraum. Wer bei den Demos gegen den Golfkrieg dabei war, der erinnert sich heute noch. Vor allem, wenn es die ersten Politerfahrungen waren. Nur das war 91. Ist das echt schon über zwanzig Jahre her? Auf Indymedia etwa trifft man auf User, die da noch nicht mal auf der Welt waren. Was soll denen das also bedeuten? Was soll denen der Tegler Weg bedeuten, das ist 44 Jahre her. Wem soll man mit den FVV Demos kommen? Die liegen 38 Jahre zurück.
Es sind eben unterschiedliche Erfahrungen die zu unterschiedlichen Ansichten und Beurteilungen führen und wenn man sich das bewußt macht, dann versteht man, warum in Diskussionen so oft aneinander vorbei geschrieben wird. Warum sich die Leute nicht verstehen können.
Weil gerade im Netz die unterschiedlichen Generationen ungefiltert aufeinander treffen und die Jungen raffen nicht, was das soll, während die alten Säcke von den naiven Unfug genervt sind, den sie da oft zu lesen bekommen.
Was bleibt zu tun? Sich erstmal darüber klar zu werden, warum man in unterschiedlichen Welten lebt. Warum sich Erfahrungen eben nicht 1:1 weitergeben lassen. Das Bücher eben nicht die eigene Erfahrung ersetzen können und jeder aus eigenen Fehlern lernen muß.
Freilich sind diese Überlegungen auch dazu gut, um sich zu erinnern, das es viele Menschen gibt, welche mit den typisch linken Erfahrungen nie was zu tun hatten, es könnte sogar die Mehrheit sein. Denen die ganzen linken Debatten und Eigenarten nichts bedeuten, die es noch nicht mal nachvollziehen können.
Genauso, wie die in den 70ern sozialisierten (sagt man so im Soziologendeutsch) lernen mußten, das ihre Storys vom Revisionismus, Sozialimperialismus, Kleinbürgertum und derartigen Zeug, mit dem sie sich ganze Nächte um die Ohren schlugen, von der heutigen Generation kaum noch verstanden werden, geschweige das es ihnen was bedeuten würde.
Versuch jemanden, der den 9.11. am Fernseher als Kind miterlebt hat, heute zu erklären, warum sich Trotzkisten und Anarchisten ca. 50 Jahre nach Kronstadt eben deswegen eins auf die Mütze gaben. Ja, sowas gabs und ist sicher schwer nachzuvollziehen. Sogar von den Beteiligten heute.
Doch möglicherweise hilft es, wenn man sich vergegenwärtigt, das es den Islamisten unter anderem auch um die Kreuzzüge geht und das ist an die Tausend Jahre her. Nebenher bemerkt, bisher ist in den Medien noch keine "nine eleven generation" aufgetaucht, na das kommt noch, wer weiß?
Im Gegenzug, versuch heutigen Jungaktivisten, die gerade die Netzwelt mit einen frischgeschriebenen Aufruf beglückt haben, den man in gedruckter Form bereits vor 20 Jahren gelesen hat und der schon seinerzeit nur noch genervt hat, dies klarzumachen. Was? Das sie unter Wiederholungszwang leiden? Das auch deswegen die Linke nicht vorankommt, weil sie sich weigert aus ihren Fehlern zu lernen? Weil sie sich weigert überhaupt Fehler einzugestehen? Weil nur andere alles falsch machen, denen muß man ja den richtigen Weg weisen, dafür sind wir schließlich da. Über eigene Irrtümer reden wir besser nicht, abgehakt und auf zum nächsten Thema. Schließlich macht Politik keine Pause und es gibt immer was zu tun.
Mittlerweile haben auch Großereignisse innerhalb des linken Mikrokosmos ihre Jahrestage und werden gelegentlich mit einen rückschauenden Text abgefeiert, der freilich zumeist unter einen bedauerlichen Mangel an Kritik und Realismus leidet. Meist überwiegt der Optimismus und Stolz auf die vollbrachten Leistungen (freilich fragt man sich dann doch, worin die bestanden und ob da nicht zuviel Geschiß drum gemacht wird). Nicht das es verkehrt wäre, auch daran zu erinnern. Doch ohne kritische Aufarbeitung kommt das dann eher als Heldenepos rüber. Man meint entweder, man hätte was verpasst oder vermutet, nicht zu unrecht, man bekommt ein idealisiertes Bild vorgesetzt.
Wer epische Sagen und Heldenlegenden lesen will, ist mit den diversen Götter und Heldensagen und ihrer Adaption in Film, Comic und PC Spiel bestens bedient. Im politischen Alltag und der Geschichtsschreibung der Neuzeit hat dies nichts verloren. Da haben wir es mit Menschen und all ihren Fehlern und Macken zu tun.