Dienstag, 6. August 2013

Nein, du schon wieder?

Bei manchen Zeitgenossen kommt man auf den Gedanken, wenn es sie nicht gäbe, man sollte sie erfinden. Dieser Verticker des Trotzkistenblättchens Spartakist gehört fraglos zu dieser Sorte. Er ist regelmäßig auf diversen Demos anzutreffen, ob Ostermarsch oder 1. Mai, da darf er nicht fehlen und was tut er dort? Nun recht erfolglos sein Blättchen anbieten, von dem man sich fragt, ist das nicht etwas anachronistisch, sowas noch zu drucken und mühsam unters Demovolk zu bringen? Nicht nur das Blatt wirkt anachronistisch, der Typ nicht weniger und das Zeitungsdesign könnte auch gerade aus dem Jahr 1978 stammen.
Vor 40 Jahren wäre er noch in guter Gesellschaft gewesen, da gab es viele die ihr Parteiblatt den Massen vor die Nase hielten und agitierten. Lest die Rote Fahne, Genossen kauft den Roten Morgen. Die Kommunistische Volkszeitung, die Zeitung für eure Interessen. So etwa darf man sich das vorstellen. Man mußte schon einiges an Frust wegstecken können und sich einreden, wichtig ist es präsent zu sein. Denn diese Papiere wurden einen nicht gerade aus der Hand gerissen.
Doch eine Frage wäre zu beantworten. Was hat mir dieser nette Herr denn getan? Was hast denn gegen den? Nichts, wirklich nichts. Weiß ja nicht mal seinen Namen, will ich auch gar nicht. Darum geht es auch nicht, es geht um seine unfreiwillige Darstellung einer historisch gewordenen Gestalt und als unfreiwilliges Fotomodell. Sogar vom Fotorecht geschützt. Er ist eben eine Person des öffentlichen Lebens und darf frei veröffentlicht werden. Als Darsteller der Parteiagitatoren die in den siebziger Jahren die Plätze, Werktore und Uniportale unsicher machten und aufdringlich ihr Agitationsmaterial unters Volk brachten. Und so liest sich eine derartige Story aus den 70gern.
"Es ist schwer vorstellbar, wie schnell 20 - 30 Menschen an einem vorüber sind, wenn sie frühmorgens zur Arbeit gehen. Die an mir Vorbeirasenden dürften vielleicht zwei Worte, wenn überhaupt irgendwas von meiner Parole mitbekommen haben.
Was ich da rief und anbot waren nicht ihre Probleme, es waren nicht die Angelegenheiten, die sie beschäftigten. Bald war ich mir der Sinnlosigkeit eines solchen Vorhabens voll bewußt. Doch ich ging immer wieder hin. Manchmal als einziger, weil gerade diejenigen, die in der Grundeinheit für mehrmaliges Verkaufen in der Woche plädiert hatten, von ihrer ideologischen Klarheit so besoffen waren, daß sie morgens verschliefen und nicht kamen." Wir waren die stärksten der Parteien.
Von diesen Helden der Agitprop gibt es allenfalls Bildmaterial auf Analogfilm, dieser Spartakistdealer hat es hingegen in die Digitalfotographie geschafft. Von den Agitatoren seinerzeit ist heute nicht mehr viel übriggeblieben, eigentlich gar nichts mehr. Die Vereine aufgelöst, die Blättchen längst eingestellt und vergessen, die Beteiligten denken langsam an ihre Rente und haben diese Zeit abgehakt, verdrängt oder sonstwie in die Tonne gekloppt. Nun mit diesen Bildbeweisen können wir auch weitere Theorien illustrieren. Jede abebbende Bewegung hinterlässt ihr Strandgut oder ihre Reste und Übriggebliebene, die offenbar vergessen haben das Licht auszuschalten. Oder wurden sie selbst vergessen? Die Party ist längst vorbei, sie saufen die letzten Flaschen leer und sind zu besoffen um zu bemerken, das die Halle leer ist.
Was macht diesen Menschen noch zur tragischen Figur? Seine unermüdlich scheinende Bemühungen, die eher an ein religiöses Ritual erinnern, als an sinnvoller politischer Auseinandersetzung? Sein unübersehbares Alter? Vor Jahren war er auf einer Studentendemo zugegen und die Studies hätten problemlos seine Kinder sein können.
Oder seine Arbeitsweise die retro zu nennen, noch sehr gutwillig ausfällt. Wer heute unter der Zwangsvorstellung leidet, Trotzkistenblättchen produzieren zu müssen um die Massen aufzuklären, der hat eine Webseite oder haut das in einen Blog. Im Netz ist schließlich für jeden Unsinn Platz. So findet er ab und an ein paar Leser die sich auf den Spartakist online verirren und noch schneller wieder flüchten. Aber das Zeug auf einer Demo den Leuten vor die Nase halten? Nicht mal als Flugi, sondern noch Geld für wollen? Da darf man sich über Frust und Mißerfolg nun wirklich nicht wundern. Das ist auch sowas von retro.
Im Jahr 2013 wirkt er wie ein Verdammter, der für irgendwelche Sünden seiner Genossen zu büßen hat, die sich dem Klassenfeind in gutbezahlten Posten angedient und das Prolatariat verraten haben. Einer der letzten Aufrechten, der die Parteifahne hochhält, während seine Exgenossen eher den Erwerb eines Altersruhesitzes in der Toskana in Erwägung ziehen? Bin ich hier zu zynisch, oder ist es das Leben selbst, das ab und an zynischer als jeder Zynismus sein kann?
Bei solchen Gestalten fehlt es nicht an bescheuerten Ansichten, da heißt es, na ist doch beeindruckend, das jemand soviel auf sich nimmt, das jemand immer noch dabei ist und nicht aufgibt. Macht ihn doch sympathisch. Würden sie das auch über jemand sagen, der den ganzen Tag mit den Kopp gegen die Wand rennt? Oder wären sie dann eher der Ansicht, benachrichtigt doch mal einer die Nervenklinik.
Oder so gehts auch. Junge, warum lernst du nichts dazu? Schau dir den Kretschmann an, der ist sogar Ministerpräsident.