Freitag, 15. Januar 2021

Märtyrerkult

 Peter Weiss
Che Guevara
Kursbuch 1968


Als wir vom Tode Ches erfuhren, war unser erster Gedanke: Mußte er sterben, gerade jetzt, wo er unentbehrlicher geworden war denn je? War da keine Hilfe und kein Entsatz……. Es erhob sich die Frage: hat er sich geopfert? Hat er das Los eines Märtyrers gewählt?

Wir können keine Heiligen brauchen. Wir lehnen die mystische Verehrung ab, die den Opfertod mit einen Glorienschein umgibt. Wir weisen das Christusbild zurück, die Kreuzabnahme, das Warten auf die Auferstehung. Was bleibt ist Ches Tod, der Verrat an ihm, der Hinterhalt, ein zerfetzter Leichnam.
Sind wir mitschuldig an diesem Tod? Sind wir die Verräter? Oder waren wir nur in unseren Alltag Befangene, Gleichgültige, getrost und unbekümmert um jene ferne Revolution? Haben wir es vermieden, Stellung zu nehmen? Und warum haben wir es vermieden? Vielleicht, weil das Feld, auf dem er sich schlug so weit entfernt liegt?


Interessant nicht? So lange ist das wieder her. Und wozu zitiere ich diesen Auszug? Natürlich gibt es einen Grund. Betrachten wir die Linke in der BRD, plus Gesamtdeutschland. Seit Benno Ohnesorg gibt es eine lange Liste von …..? Ja wie sollen wir sie nennen? Märtyrer? Kaum. Sie sind nicht für irgendeine Sache gestorben. Keiner ging zur Demo mit der Absicht zu sterben. Oft waren es Unfälle, oder die berühmte Verkettung unglücklicher Umstände. Gelegentlich auch Überreaktionen. Polizeischüsse waren eher die Ausnahme, im Gegensatz zu anderen Weltgegenden, wo Todesschüsse zum Alltag gehören. Berlin, Genua aber sonst passierte es eben in dem Chaos oder rücksichtsloses (Günter Sare) Vorgehen und hinterher konnte man sagen, niemand wollte es. Natürlich reagierte die linke Szene stets nach solchen Todesfällen mit militanten Demos. Nicht immer, wohlgemerkt. Auf Wiki gibt es eine Namensliste und da sieht man, wenn keine direkten Schuldigen auszumachen waren, dann kommt es nicht zwangsläufig zur fälligen militanten Demo. Nachdem die Scherben zusammengekehrt waren, kam der Versuch der Aufarbeitung und trotz der Aussichtslosigkeit machten sich stets welche die Mühe, juristisch zu klagen. Auch wenn man weiß, es bringt wenig, war es wichtig, wenigstens den Versuch zu machen.
Soweit erstmal. Doch was fangen wir mit der Namensliste an? Mit einer mystischen Verehrung konnte sich die neue Linke nie anfreunden. Gut, ihre Namen wurden Teil des linken kollektiven Gedächtnis. Sie sollten nicht vergessen werden. Ja und was noch? Ohnesorg starb am 2. Juni. Eine bewaffnete Gruppe benannte sich nach diesem Datum. Doch davon abgesehen, das genaue Todesdatum von Olaf Ritzmann oder Klaus-Jürgen Rattay steht auf Wikipedia. Siehe: Liste von Todesopfern bei Demonstrationen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Linke hat keine Gedenktage hervorgebracht. Den einzigen allgemeinverbindlichen Gendenktag, den sie übernommen hat, ist der 1. Mai.
Ja dazwischen gab es immer wider Versuche an diverse Namen zu erinnern. Darunter auch etliche die im Zusammenhang mit RAF und bewaffneten Kampf starben. Doch so kontinuierlich ging es eben nicht. Neue Generationen kamen dazu und denen bedeuteten die alten Namen wenig. Um das mal zu verdeutlichen. Was können heutige Klimakids mit den Namen Holger Meins anfangen oder Conny Wessmann? Eben.
Geschichtlich betrachtet hat man gerade in Deutschland nicht die besten Erfahrungen mit Heldengedenktagen und Märtyrerkult. Der war fester Bestandteil im NS Staat. Das macht mißtrauisch.
Märtyrerkult war eher Sache ausländischer Gruppen und Parteien wie etwa der PKK oder diverser türkischer Gruppen die hier aktiv agitieren. Es wurde als spezifische Eigenart zur Kenntnis genommen.
Als es zur Beteiligung deutscher Linke an den Kämpfen in der Türkei bzw. im Kurdengebiet kam, machten einige den Versuch aus ihrem Tod einen neuen Märtyrerkult zu begründen. Und zudem ihre eigene Politik zu verbreiten. Ausgestattet mit der Autorität  eines Namens, dessen Tod nicht umsonst gewesen sein darf und verpflichtet, wurde agitiert. Wer Zweifel äußerte, dem wurden moralische Glaubenssätze entgegengehalten. Die hat sich für …. usw. Und du sitzt ja nur am Rechner. Welches recht hast du daher überhaupt den Mund aufzumachen. Mit solchen Scheinargumenten versucht man dann Kritiker zum Schweigen zu bringen. Siehe: EZB Demo
Nun es war ein netter Versuch, der nicht zuletzt daran scheiterte, weil er auf eine skeptisch gewordene Linke traf, die schon zu oft der eigenen Propaganda geglaubt hat und damit auf die Nase gefallen war. Das macht mißtrauisch, auch gegenüber den besten Absichten.

Mittwoch, 13. Januar 2021

Chinesischer Knoten

DKP macht auf jugendlich.
 Ein Mann aus Lu schenkte dem König Yüan von Sung einen Knoten. Der König ließ einen Befehl durch das ganze Land gehen, daß alle geschickten Leute kommen sollten, um [zu versuchen], den Knoten aufzulösen. Aber niemand vermochte ihn aufzulösen. Ein Schüler des [Redemeisters] Erh Shuo bat, sich ebenfalls an die Aufgaben heranwagen zu dürfen. Aber es gelang ihm nur, die eine Hälfte des Knotens zu lösen, die andere konnte auch er nicht aufbekommen.
Da sprach er: „Es ist nicht so, daß man [diesen Knoten] auflösen kann und nur ich nicht imstande bin, es zu tun, sondern er lässt sich überhaupt nicht auflösen.“
Man befragte den Mann aus Lu [von dem der Knoten stammte], und der sagte: „Ja, man kann ihn tatsächlich nicht auflösen. Ich habe ihn [selbst] gemacht und weiß daher, daß er nicht auflösbar ist. Aber einer der ihn nicht gemacht hat und doch weiß, daß man ihn nicht lösen kann, muß noch kunstfertiger sein als ich.“
So hat der Schüler des Erh Shuo den Knoten dadurch gelöst, daß er ihn nicht gelöst hat.

„Frühling und Herbst des Lü Pu -wei“ 4. Jahrhundert v. Chr.
Kursbuch 1979 Mythos des Internationalismus.


Wozu diese Einleitung? Thema ist der Kampf zweier Linien in der Kommunistischen Partei. In jeder Kommunistischen Partei, die dem Marxismus-Leninismus im Programm hat, ist dieser Kampf zweier Linien fester Bestandteil des Parteilebens. Der Richtungsstreit wird auch als Kampf zwischen Links und Rechtsopportunismus bezeichnet. Es gibt weitere Bezeichnungen, wie den Kampf zwischen der proletarischen und kleinbürgerlichen Linie oder Fraktion. Oder in der MLPD wird es als Kampf zwischen der bürgerlichen und proletarischen Denkweise verstanden.
Was ist darunter zu verstehen und wie kann man es beurteilen? Dies wurde auch als der Windmühlenkampf gegen alle Strömungen menschlichen Denkens bezeichnet. Reformistisch, Revisionistisch, Spontaneistisch, Kleinbürgerlich, Anarchistisch und was noch alles. Die Parteiführung ist Rund um die Uhr darum bemüht, die Partei steril und rein zu halten.
Und diese Auseinandersetzung wird mit viel Papier und Worten geführt, da ist es ist nicht einfach für die Beteiligten die Übersicht darüber zu behalten, um was es jetzt geht und wer nun warum zu welcher Linie gehört. Oder was gerade die richtige Linie ist. Meist eben die der Parteiführung, also der Zentralkomitees.
Nun werden Parteilinien oft in einer kryptischen Umschreibung verkündet, da fällt es nicht leicht die Frage zu beantworten, ist die Aussage die gerade verkündet wurde, jetzt links oder rechts, denn Das kann von Zeit zu Zeit wechseln. Wann ist etwas links oder rechts? Ist der verstärkte Einsatz und die Opferbereitschaft für die Parteipropaganda nun links oder kleinbürgerlicher Aktionismus? Auf die Bedeutung der Theorie zu verweisen kann heute als bürgerliches Verhalten der Intellektuellen gelten und morgen schon als wichtig für den Parteiaufbau oder auch umgekehrt. Vernachlässigung der Theorie zugunsten der Propaganda gilt dann als kleinbürgerlicher bewußtloser Aktionismus.
Ja, was denn nun? So haben sich schon viele der Beteiligten gefragt und im Zweifel besser geschwiegen und auf die Anweisungen der Führung gewartet.
Beim KBW etwa galt es als kleinbürgerlich, auf familiäre Verpflichtungen zu verweisen, etwa die Kosten für den Schulausflug der Kinder. Proletarisch war zu spenden, was man konnte. Für einige war da die Grenze erreicht. Schon aus der Geschichte der ML Sekten lassen sich etliche Fälle anführen, zumal sie sich ja alle Mühe gaben, die Kommunistische Partei möglichst original nachzustellen.
Aus der Geschichte kennt man die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki und auch da fällt es nicht leicht herauszufinden, um was es genau ging. Oder was Trotzkismus  eigentlich ist, die von Stalin als die schändliche Strömung ausgemacht wurde. Darüber wurden lange Texte verfasst und trotz der Versuche dies konkret an Fällen wie der Revolution in einem Land oder der Permanenten Revolution festzumachen, so klar war es nie, wann man Stalinist oder Trotzkist war.
Und das war beabsichtigt. So konnten diverse Äußerungen oder auch nur Unterstellungen schnell dazu führen, das verdiente Genossen plötzlich als Trotzkisten dastanden und abgeurteilt wurden. Einschließlich der ‚Geständnisse‘ die zum Kennzeichen der Schauprozesse wurden. Das intellektuelle Niveau dieser Auseinandersetzungen war verwirrend gehalten und überforderte jeden Arbeiter oder Bauern. Daher schwiegen die auch besser und wann jemand als Trotzkist herausgedeutet wurde, dann war die Haltung, besser du als ich. Warum? Das verstand kein Mensch mehr.
So etwa lief es auch in China, vor allem bei der Kulturrevolution. Die ideologischen Kampagnen waren komplex und schwer verständlich. Schon weil man nie wußte, ob das, was heute galt, nicht schon morgen konterrevolutionär sein würde. Dies setzte sich in den folgenden Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen oder Parteiführern fort. Wen interessierte das? Nun naturgemäß die maoistischen K – Gruppen und ihre Vertreter hatten alle Mühe den Auseinandersetzungen zu folgen. Sie kamen nicht nur aus China, sie waren oftmals auch chinesisch in dem Sinne von unverständlich. Unverständlich für Außenstehende, für Insider oft nicht weniger. Und das war kein Zufall.
So blieb ihnen meist nur abzuwarten, wes sich durchsetzen würde und der hat eben recht. Warum? Frag nicht so blöd.
Was die Auseinandersetzung in den deutschen Parteisekten anging, immerhin waren sie in der Landessprache verfasst. Man hatte also Heimvorteil. Nützte aber wenig. Noch lange nach ihrem Verschwinden ist das Parteichinesisch auch von ‚Experten‘ nicht leicht nachvollziehbar. Für Normalsterbliche erst ziemlich unverständlich. Man fragt sich, um was ging es eigentlich? Um was haben die sich gestritten?
Ja und das ist genau der Punkt, an dem ich auf den Chinesischen Knoten verweise. Das ist die Lösung des Rätsels. Der ideologische Streit ist nicht auflösbar und soll es auch gar nicht sein. Es geht gar nicht darum, was nun falsch oder richtig an der Parteilinie ist, oder warum und wie. Es geht schlicht und ergreifend um Macht. Um die Frage, wer ist der Boss im Hühnerhof (wie das ein Radiomoderator treffend ausgedrückt hat), wer hat zu bestimmen und wer bekommt die Weibchen. Etwas vulgär ausgedrückt. Wir leben eben noch immer in der Affenherde und scheinen bis heute nicht von den Bäumen heruntergekommen zu sein. Könnt man fast glauben.
Also, der Kampf zweier Linien ist ein unauflösbarer Knoten und das ist Absicht. So kann man die Parteigenossen beschäftigen und dafür sorgen, das sie funktionieren und nicht noch selbst anfangen zu denken. Dann könnten sie ja Führung und Dogmen hinterfragen und das wär der Anfang von Ende.
War es auch. Als die Parteien auf der Stelle traten und nichts erreichten, fingen einige langsam an selbstständig zu denken und Fragen zu stellen. Und erst dann begannen sie sich aus dem ideologischen Bann zu lösen.
Der Ideologische Kampf zweier Linien. Nicht alle könnten sich davon befreien. Und so gibt es heute online noch einige Spinner, die dem geneigten User dieses Zeug auf ihren Seiten allen Ernstes verkaufen wollen.