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Montag, 29. Oktober 2012

Netzwächter

Wer Facebook nutzt, oder sich von Facebook benutzen läßt, gefährdet nicht nur sich, sondern auch andere.

Nadir, eines der älteren linken Webprojekte meldet sich zu Wort und warnt die Gemeinde. Linke haben in sozialen Netzwerken nichts zu suchen?

Seit Jahren betreiben wir Server und Kommunikationsdienste für linke Gruppen, geben wir uns alle Mühe, die Server sicher zu halten, wehren wir - mit unterschiedlichen Mitteln - Anfragen von Behörden zu irgendwelchen Daten ab. Kurz: Wir versuchen im kapitalistischen Internet eine emanzipatorische Basis der Kommunikation zu bieten.

Und wie schaut der Dank aus? Das Pack strömt zu den Kommerzportalen und gibt seine Daten preis. Da kann man schon mal verschnupft reagieren, wenn auch zu unrecht. Denn warum nutzen auch Linke die gängigen Angebote? Offenbar bieten diese, was Linke Seiten ihnen nicht bieten können.

Wir hatten einfach nicht verstanden, dass es nach all dem Stress auf der Straße und den langen Gruppendiskussionen der Wunsch vieler Aktivist_innen ist, auf Facebook in Ruhe über alles, was erlebt wurde, mit allen zu quatschen.

In der Tat, das habt ihr echt nicht verstanden. Das Bedürfnis der Leut, überhaupt mal drüber zu reden. Die notorisch linke Sprachlosigkeit zu durchbrechen, das Gefühl loszuwerden, das ihnen eh niemand zuhört und sie nur Statisten sind. Zieht sich durch die linke Geschichte, ist nicht gerade neu. Neu ist, das es mit dem Internet eine Technik gibt, in der man sich äußern kann. Im Gegensatz zu den meisten linken Seiten, die genauso interaktiv funktionieren wie ein gedrucktes Szenefanzine. Man darf lesen und die Klappe halten.

Um einmal kurz zu skizzieren, was das Problem ist: Mit der Benutzung von Facebook machen Linke nicht nur ihre eigene Kommunikation, Meinung, "Likes" usw. transparent und prozessierbar. Sondern,und dies halten wir für weit folgenreicher, es werden linke Strukturen und Einzelpersonen, die selbst mit Facebook wenig oder gar nichts zu tun haben, aufgedeckt.

Man muß eben den Mittelweg zwischen Paranoia und politischer Arbeit finden. Sonst sollte man konsequenterweise gleich die Finger vom Netz lassen und wie damals in der Politsteinzeit arbeiten. Plakate und Flugis haben doch auch funktioniert. Klar haben sie, nur irgend n Depp mußte sie drucken, verteilen und Geld kostete es auch. Als wenn es seinerzeit keine polizeibekannten Linken gegeben hätte. Zum zweiten mal bei ner Demo verhaftet? Da brauchte die Polizei weder Rechner noch Facebook.

Linke Facebooknutzer_innen als unbezahlte V-Leute?
Wir hatten immer gedacht, es geht der Linken um etwas anderes: Die Kämpfe auch im Internet weiterzuführen. Und darum, das Internet für die politischen Kämpfe zu nutzen.

Da treffen wir auf unterschiedliche Welten. Die Kämpfe im Internet weiterzuführen, bedeutet für einen Teil der Linken (besonders den traditionellen) nicht mehr, als das Netz als Propagandaplattform zu nutzen. Für mehr sollte es nicht genutzt werden, besonders von Linken nicht. Ob auf Papier oder am Screen, Linke sollen die Aufrufe und Verlautbarungen lesen und ihre Klappe halten. Auf keinen Fall sollten sie sich selbst zu Wort melden oder eigenhändig Inhalte produzieren, schon gar nicht erst Bilder von Demos einstellen. Das ist zu gefährlich, dabei geben sie ja bekannt, das sie Linke oder noch schlimmer, autonome bzw. militante Linke sind. Soll doch niemand wissen. Als wenn jemand auf Indy bekanntgegeben hätte, welche Scheiben er gerade bei der Demo persönlich auf dem Gewissen hat. Also so blöd war bislang noch niemand. Doch warum gehen Linke auf Kommerzseiten? Um mal so aus ihren Sumpf raus zukommen? Um auch mal mit "normalen" Menschen zu reden? Oder auch nur weil sie da etwas geboten bekommen, was die Linken ihnen nicht bieten können?

Und besonders Linke auf Facebook produzieren (meist ohne zu ahnen, was sie tun) wertvolles Wissen, auf das Verfolgungsbehörden in zunehmendem Maße zurückgreifen.

Paranoia muß nicht heißen, das sie nicht hinter dir her sind. Aber mach den Leuten erstmal ordentlich Angst. So sind Linke nun mal, anders kennt man ihre Texte auch nicht. Immer übertreiben und das Schlimmste annehmen. Sonst hat der Schrieb keine Wirkung auf den Leser. Meine Fresse, wenn ich daran denke, wie viele von der RAF erwischt wurden ( Ja ich bin mir bewußt, das genau diese drei Buchstaben in jeder Suchmaschine fett markiert auftauchen können, und?), auch weil sie sich dumm genug anstellten. Nicht zu vergessen, die Verfolgung diverser "Unterstützer einer Kriminellen Vereinigung" die nichts weiter taten, als Plakate kleben und Flyer drucken. Webseiten hatten die nicht und Maillisten waren auch unbekannt.
Dabei konnten die Behörden weder auf Facebook, noch auch Google zurückgreifen, nicht mal auf GMX, all das gab es ja noch nicht. Allenfalls auf ihre (8ung Witz) mit Lochstreifen (klick auf Wiki, falls du nicht mehr weißt, was Lochstreifen sind) arbeitenden Rechenmaschinen.
Sicher, heute geht es um einiges leichter. Aber nur dann, wenn die Leute zuviel rausrücken. Doch was ist zu viel? Sind Diskussionen bereits 2 much? Für autoritäre Parteien und Sekten ganz sicher, denn die wollen auch elektronisch die Kontrolle über die Hammelherde behalten. Wenn überhaupt, dann soll das Pack sich allenfalls in unserem von uns zensierten Forum zu Wort melden, auf keinen Fall einen Blog bei einen der kapitalistischen Anbieter führen oder eine Webseite, wo sie weitgehend machen können was sie wollen. Das können wir nicht dulden, dann verlieren wir ja die Kontrolle, wenn da plötzlich verbotene Ansichten vertreten werden. Wer hat das noch nicht erlebt? Auf linken Seiten werden schnell abweichende Ansichten unterdrückt, wenn sie nicht in den angesagten Mainstream passen.
Dieser Schrieb gleicht den altbekannten Warnungen, welche die Linke seit 40 Jahren begleiten, mindestens. Schüren allgemeiner Paranoia das Linke allgegenwärtig überwacht werden und sich entsprechend verhalten müssen. Geschürt wurde es großteils ausgerechnet von der DKP im Zusammenhang mit den Berufsverboten. Na die hatten s echt nötig. Kleingruppen die sich mit RAF und Knast beschäftigten unterlagen naturgemäß am ehesten dieser Paranoia und dem Mißtrauen gegen jeden und alle. Was brachte es? Das allgemeine Mißtrauen richtete sich zumeist gegen die eigenen Leute und führt nur zu paranoiden Stimmungen, die mehr schadeten als halfen. Ist ein Thema für sich innerhalb der linken Geschichte. Staat und Überwachungsbehörden ließen sich davon nicht weiter stören. Wer aktiv beteiligt war, konnte sich ja weder verstecken noch unsichtbar machen, man mußte ja in die Öffentlichkeit.
Linke wurden gewohnheitsmäßig vom Staat überwacht und mit Mißtrauen beobachtet,  dies in unterschiedlichem Ausmaß. Die Paranoia der neuen Linke hat sicher auch ihren Grund in der Erinnerung an die Nazizeit und die Gestapo. Daher wurden Verhaltensmuster zum linken Allgemeingut, das in einer Diktatur durchaus angemessen wäre, in einer offenen Gesellschaft, wenigstens nach Verfassung, schadet man sich damit mehr als dem Gegner. Na sag das denen, die davon überzeugt sind, in einer postfaschistischen Diktatur des Kapitals zu leben, oder wenn nicht, dann üben sie schon mal für den Ernstfall.
Witzigerweise wäre diese Diskussion eher für China geeignet, wo das Internet überwacht und zensiert wird und jeder User von der Partei sehr mißtrauisch beachtet wird. Wenigstens gibt es in China was zu überwachen, in Nord Korea dagegen muß sich niemand über Sicherheit im Netz Gedanken machen.

Die Nadirleut haben den Schrieb auch auf Indymedia gestellt und da können sich die Leser immerhin zu Wort melden. Nadir selbst kannst n "Leserbrief" schreiben. ;-)) Nun haben manche dazu so ihre eigenen Gedanken.

Aber es gibt noch keine Alternative
chatgirl
Ich kenne eure Kritik und sie ist völlig berechtigt.

Ihr überseht aber einen weiteren Aspekt. Facebook ist selbst ein Raum geworden der politisch ungemein wichtig ist. Im arabischen Frühling spielte Facebook eine tragende Rolle. Darin hat der widerständige Grasswurzel Aspekt über den der Überwachung überwogen.
Man ist mittlerweile von zentralen Politischen Diskursen ausgeschlossen wenn man Facebook nicht nutzt.
Das könnte man alles ändern wenn man eine gangbare Alternative hätte. Respekt für euer Engagement aber es wird erst dann funktionieren wenn die Alternative absolut simpel und konfortabel ist. Mich stört da bei den linken Nerds oft die Einstellung das Verschlüsselung doch eigentlich ganz einfach und überhaupt keine Arbeit wäre. Oft auch verbunden mit der Einstellung die Leute müßten eben etwas leidensbereit für die gute Sache sein und die Mühen auf sich nehmen. Das Problem: Selbst wenn wir das tun. Die meisten Menschen werden es nicht tun und wir marginalisieren uns nur weiter.
SchallundRauch
Facebook ist ganz furchtbar böse. Und als LinkeR darf das also eigentlich nicht genutzt werden. Nichtmal zu rein persönlichen Vergnügungen. Einerseits braucht man ja auch gar keine Kontakte zur Aussenwelt. Der linke Szenesumpf reicht ja (hat den nebenbei auch den Vorteil, dort nicht mit abweichenden Meinungen, teils sogar fundierten, konfrontiert zu werden) auch locker aus, mehr Bekannte will man doch eigentlich gar nicht. Und, seien wir mal ganz ehrlich, durch den Spaß (oder sonstigen Nutzen), den man bei Facebook haben kann - da passieren ja auch echt schlimme Dinge! Ich mein, wenn sich von der für die Welt vollkommen irrelevanten, politisch vollkommen unbedeutenden linksradikalen Underground-Szene auch nur ein Viertel bei solch kapitalistischen Vergnügungen beteiligt... da ist das System natürlich schon ganz schön stabilisiert und die Revolution muss wieder ein Jahr verschoben werden.

Was für eine Entfremdung von der realen Welt hat bei euch eigentlich mittlerweile eingesetzt? Oder tritt die einfach nur im Kontrast zur modernen Technik so krass hervor?

Es ist klar, dass man keine sensiblen politischen Inhalte bei Facebook kommunizieren sollte. Aber die Verweigerung von bzw. Teilnahme an Facebook hier dergestalt aufzubauschen... kommt mal klar, sonst versinkt ihr (nicht explizit an Nadir gerichtet) noch mehr in der Bedeutungslosigkeit, als das eh schon der Fall ist. Und das wäre Schade.

Na s geht doch, kann doch nicht der Einzige sein, dem dies auffällt. Leitmotiv scheint die Angst vor der normalen Welt zu sein. Auch dies zieht sich durch die linke Geschichte. Man könnte darüber einen Stoßseufzer ausstoßen. Was gut gemeint war, einfach einen  Freiraum zu haben, in dem man sich nicht ständig mit der feindlich gestimmten Mehrheit und ihren Vorurteilen auseinandersetzen muß, hat sich zu der Haltung verselbstständigt, diese Welt überhaupt zu ignorieren und sich nur noch in seiner kleinen überschaubaren Szenewelt einzurichten. Und das funktioniert bis heute. Schaut man sich den Stand der Ansichten auf linken Seiten so an, da wird schnell klar, so können nur Linke drauf sein, die sich der Realität nicht mehr aussetzen und denen die sog. Normalbevölkerung am Arsch vorbeigeht. Die ernsthaft glauben, was bei ihnen gerade an Politgeschichten und Minderheitenprojekten in ist, das sind die Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts.
Der Verweis auf den arabischen Frühling ist hier naheliegend und wirft ein bezeichnendes Licht auf diese Debatte. In der Tat, über Facebook und weitere Dienste hätte man alle Beteiligten rausfinden können und könnte ganze Protokolldateien anlegen, wer mit wem und was und wann, warum und überhaupt. Nur hätte das den Behörden nichts mehr genützt, was soll man mit den Datenströmen noch anfangen? Es waren bereits zu viele beteiligt. Daher blieb in Ägypten bekanntlich nur noch der Ausweg, das Netz abzuschalten. Damit war die Straße freilich auch nicht mehr zu stoppen.
Verweisen könnte man auch auf 89 in der DDR. Die Stasi konnte nicht auf Soziale Netzwerke zurückgreifen oder auf den E Mailverkehr. Aber wenn es das (unrealistischerweise) in der DDR gegeben hätte, ja sicher, die Stasi hätte es um einiges leichter gehabt, nur hätte es ihr genau so wenig genützt, wie ihre traditionellen Aktensammlungen. Es waren bereits zu viele auf der Straße.
Sicher finden sich auch Fälle die das Gegenteil belegen. Wer im sozialen Netzwerk ohne Schutz zu fragwürdigen Dingen wenn nicht sogar zum Rechtsbruch aufruft, ist sich in der  aufgeheizten Stimmung nicht unbedingt über die Folgen klar. Nach den Riots in England  wurden zwei Aufrufer verhaftet. Den Beweis hatten sie selbst geliefert. Für den Backlash ist das Internet bestens geeignet, da haben eben einige ohne lange nachzudenken ihre Spuren hinterlassen. Es schadet sicher nicht ein Bewußtsein der User zu schaffen, was sie für Spuren im Netz hinterlassen. So wie früher die Telefonüberwachung zum Allgemeinwissen gehörte. Soll heißen, es ist möglich und deswegen muß man nicht alles in die Leitung reinquatschen. Trotzdem ging man nicht davon aus, das man andauernd überwacht wurde. So sollte man auch mit dem Netz umgehen. Bilde dir nicht ein, das es irgendwem interessiert, was du treibst. Nur in Extremsituationen, erinner dich daran, das du nicht unbedingt anonym bist.
Elektronische Überwachung macht nur gegen Minderheiten Sinn, doch wenn sich diese aus Angst vor Überwachung isolieren, dann bleiben sie eben auch bedeutungslose Minderheiten. Man könnte auch an die Steinzeit erinnern. Früher stand uns allenfalls das Telefon zur Verfügung (Festnetz heißt das heute) und es wurde in Ausnahmefällen sogar zur Mobilisierung genutzt. Etwa im Falle der Startbahndemos, oder diverser X Tage. Sonst freilich galt auch schon seinerzeit die Allgemeinregel, bestimmte Storys nicht am Telefon zu bequatschen. Allein die Möglichkeit abgehört werden zu können, reichte aus. Nicht das die Behörden genug Leute gehabt hätten, um alle Linke mit Anschluß systematisch abhören zu können, das war ja noch solide Hand bzw Ohrarbeit und nicht wie heute automatisierbar.

PS: Ausgerechnet auf einen Googleblog? Ja sicher, damit fütter ich auch Google mit Infos. Aber das machst auch, wenn du auf Indy veröffentlichst. Die Infos werden ja auch von Google zwischengespeichert, was sich ab und an sogar als nützlich erwiesen hat. Aber das kann ich bislang bestätigen. Hier konnt ich bisher machen was ich wollte, niemand zensiert hier. Einige der Inhalte hier, hätten auf linken Webspace keine lange Lebensdauer.
Think about it.


Siehe auch: Spitzelangst

Nachtrag:

Wechselt alle zwei Wochen eure Unterkunft!
Schmeißt euer Handy nach jedem Gebrauch weg!
Trefft euch nur noch im Wald!
Anders als ihr anscheinend, richten die meisten Linken nicht ihr gesamtes Leben darauf aus, so konspirativ wie möglich des Nachts Brandsätze legen zu können. Sie legen nämlich überhaupt keine Brandsätze. Sie sind zum Glück inzwischen etwas davon weg, anders als die Rest-Autonomen, sich permanent in der Entscheidungsschlacht gegen den Staat zu begreifen und stellen stattdessen die Frage, wie man denn mehr als eine sinnlose Nadelstichpolitik betreiben kann.
Und dass Facebook-User "zum Produkt werden"... Ich bitte euch, wir leben im Kapitalismus. Hier wird der Großteil der Menschen tagtäglich zum Produkt reduziert: auf seine Arbeitskraft.